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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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seinen Rücken ein, er hebt das Kind mit einer Hand wie ein Karnickel an beiden Füßchen hoch, packt es mit der anderen Hand an den Knien, schwingt das Baby wie seinen neuen Carvingschläger – es ist ein Mashie Niblick, Eisen Nummer 7, mit FatBoy-Griff – ein, zweimal von Schulter- bis Kniehöhe und zurück und wirft den Säugling Samuel sodann zum geöffneten Fenster hinaus.«
    Thomas blickt auf. Marie-France sitzt auf seinem Bett. Sie ist nackt, ihre Beine und Hüften sind in die Decke gehüllt. Aufmerksam hat sie ihm zugehört.
    »Verstehe ich nicht.«
    »Wieso nicht? Ist doch völlig klar …«
    »Meinst du vielleicht, wenn wir doch noch ein Kind hätten …«
    »Nein.«
    »Aber … der bringt das Baby um?!«
    »Ja. Er hält das offenbar für folgerichtig. Vielleicht weiß er sich nicht anders zu helfen gegen die diffusen Mächte.«
    »Als sein eigenes Kind umzubringen? Spinnt der? Ein Kindermord? Unschuldiges Leben auslöschen? Was soll das? Der schlimmste Mörder bringt eine Oma um, das kannst du gerade noch ertragen, aber ein Baby? Das ist unerträglich!«
    »Vielleicht wissen wir das nicht mehr und zerstören wahllos Unschuldige und uns selbst, wenn das Fass einmal überläuft. Vielleicht werden wir dann grausam.«
    Marie-France hat sich empört aufgerichtet und ist glockenwach.
    »Ein Baby töten, das ist die Zukunft töten, da glaubt man nicht mehr an die Menschen, das ist das Ende! Ist dieser Misanthrop bescheuert? Soll er doch selbst aus dem Fenster springen!«
    Thomas nickt und lächelt. Er legt die Mappe beiseite. Er zieht T-Shirt und Hose aus, streift die Socken ab, legt sich neben Marie-France, küsst sie und nimmt sie in den Arm. Sie schmiegt sich an seine Schulter und seufzt. Dann richtet sie sich wieder auf und sieht ihn fragend an.
    »Sag mal, hast du das selbst geschrieben? Du machst mir langsam Angst …«
    »Ach, schlafen wir.«

34. Der Intellectual Fight Club. Der Schlag kommt aus der Tiefe
    Nach den Schachzügen hört man die Uhren. Nach den Schlägen rasseln die Ketten. Das Adrenalin, die Aggression kontrollieren. Und nur darum geht es hier.
    »RA-RA-RA-BA!«
    Jesus drischt auf den Sack ein. Er springt vor Thomas hin und her wie ein Flummi. Sein Kopf glänzt.
    »RA-BA-BA-BA Y BAPP! He? Siehst du? So!«
    An den Säcken, Maisbirnen, Wandpolstern stehen die Schachboxer und üben die Kombination linke Gerade zum Kopf, rechte Gerade zum Körper, linker Kopfhaken, rechter Kopfhaken. Man hört sie stöhnen, schubweise Luft aus Nase und Rachen stoßen in der Halle unter der Stadt. Jesus flitzt von einem zum anderen und korrigiert ihre Haltung. Thomas schlägt zu. Die Kraft legt er in den letzten Haken. Den Schlag zur Schläfe.
    »He! Thomas! Hab i gesagt mitte Drehung! Aus der Bewegung, aus die Beine! He? Immer mitte Drehung! HA-HA-HA – – Y BA!«
    Thomas nickt.
    »Boxen ist Kontrolle. Und die Kontrolle kommt aus die Beine, nicht die Arme, he?«
    Nach den Schlägen hört man die Uhren.
    Nach den Schachpartien rasseln die Ketten.
    Thomas spürt die Wucht seines Schlags. Er konzentriert alle Kraft, die er hat, in Daumen und Finger seiner rechten Hand. Der Schlag kommt aus der Tiefe. Aus der Hüfte. Er ist am Ende der Serie das Drehmoment seines ganzen Körpers. Gewicht, Geschwindigkeit, gleichzeitiger Luftausstoß. Nur wenn die Komponenten aufs Genaueste zusammenwirken, ist die Wucht zu erzeugen. Hüfte, Schulter, Drehmoment und Schlag. So geht das. Er ist wie besessen davon.
    Der Schlüssel zum Kopf liegt im Körper.
    Der Schlüssel zum Körper liegt im Kopf.
    Dazwischen kann er mal verlorengehen.

35. Die Revolution ist eine Minute YouTube. Thomas trifft Sandra wieder und ist der amerikanische Präsident
    Du bist ein Turnschuh, du bist Katzenfutter.
    Du bist regenerativer Strom, du bist proaktive Gesichtscreme.
    32 Grad am Morgen, die Meile von der Schönhauser Allee zur Torstraße voller junger Flipflopspanier, Flipflopengländer, Flipflopfranzosen, sie kommen aus den Hostels und schwärmen aus, alle gleichzeitig, scheint es ihm, alle kurze Hosen, Umhängetasche und T-Shirt, dazwischen die Mütter und verblödeten Altväter, ihre römischen Streitwagen zum Wochenendeinkauf entschlossen geschnürt, den Flipflopmädchen lugt das Tangadreieck am Arsch heraus, verkorkste Füße in allen Flipflopvariationen, die Nivellierung des Hässlichen, das Viertel, ein 24-Stunden-Postkarten-Rent-a-Bike-Coffee-Internetshop mit Geldautomat; Kinder, die gezerrt werden und greinen, die Straße eine

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