Gehwegschäden
…«
Jascha fuhr mit dem Zeigefinger sehr virtuos über das Telefon und tippte auf diese oder jene Stelle, wobei das Gerät sanfte Geräusche von sich gab.
»Wer zehn Freunde auf Facebook killt, bekommt einen Cheeseburger.«
Jascha hielt Thomas den kleinen Bildschirm vors Gesicht. Thomas sah darauf ein Foto. Das Foto eines Menschen, der langsam in Flammen aufging.
»Geil, oder?«
Thomas nickte, mehr in Gedanken.
»Alles Marketing.« Jascha war jetzt so erhitzt, als wolle er im nächsten Moment einen Sales pitch anbringen. Mit einer Serviette trocknete er sich die gerötete Kopfhaut. Er öffnete den obersten Hemdknopf, der ihm bis dahin den Hals zugeschnürt haben musste. »Wer eine virtuelle Kuh findet in einer virtuellen Landschaft, bekommt eine Karte fürs Rockkonzert. Wenn du die Website eines Unterwäschelabels anklickst, kannst du einen Mann von zwei in diese Unterwäsche gekleideten Mädchen von der Straße weg entführen, in ein Hotelzimmer sperren und foltern lassen. Anwälte killen, Freunde killen, kurz: Unsinn. Ziviler Ungehorsam. Das ist interaktive Werbung. Das bringt Profit, das bringt Produktionssteigerung.« Der Mann von Prometheus strahlte voller Erwartung, wie ein Kind, das ein Fleißbildchen von seiner Lehrerin erhofft, um es in sein Album zu kleben.
Du bist ein probiotischer Yoghurtdrink. Du bist der amerikanische Präsident, du bist ein Soßenbinder.
Jascha spielte verzückt mit seinem Telefon. Thomas trank einen Schluck Kaffee, plötzlich stand Sandra vor ihm.
Thomas erschrak. Sie war von hinten gekommen, er hatte sie gar nicht gesehen. Sie trug wieder ihren Pferdeschwanz. Sie war sehr schön. Thomas wurde flau im Magen. Er stand auf und hauchte verlegen ein Küsschen auf ihre Wange. Sie trug eine Umhängetasche über der Schulter und setzte sich Thomas gegenüber.
Jascha stand auf und stellte sich vor.
»Prometheus, Zentrale Gehirnarchitektur. Politik, Unterhaltung, Kultur und binäre Lösungen. Jascha, angenehm.« Jascha reichte Sandra die Hand.
»Und jetzt setz ich mich an meine Texte und lass euch in Ruhe. Ich bin gar nicht da.«
Eine Weile sahen sie sich an und schwiegen.
Es täte ihr leid, sagte sie leise. Sie habe das bestimmt nicht gewollt, sagte sie gleich und sah Thomas mit ihren kleinen Augen mitleidig an. Sie habe gar nicht mitgekriegt, dass er was von ihr wolle. Sie habe nie die Absicht gehabt, mit ihm eine wie auch immer geartete Beziehung einzugehen, sagte sie. Das sei alles ein großes Missverständnis gewesen, aber es täte ihr furchtbar leid, wenn sie Signale ausgesandt habe, die er, Thomas, vielleicht missverstehen konnte.
Thomas hörte zu. Er hörte aufmerksam zu und betrachtete ihr hübsches rundes Gesicht, die kleinen, sich kräuselnden Sorgenfalten. Er schwitzte. Er trank einen Schluck Kaffee und gab sich einen Ruck: Er habe Verständnis. Er könne sie verstehen und sie solle jetzt kein schlechtes Gewissen haben, wegen ihm. Das läge nicht in seiner Absicht. Sie solle sich keine Gedanken machen, es würde ihm sicher nicht so schwerfallen, wie sie sich das vielleicht vorstelle, für ihn seien diese Dinge nicht mehr so wichtig.
Sandra schien erleichtert. Ihr Gesicht gewann an Fröhlichkeit.
Na ja. Manche Botschaften, die er, Thomas, ausgesandt habe, seien schon sehr unmissverständlich gewesen. Aber natürlich habe sie vermutet, dass er, Thomas, da ein paar Gläser getrunken hatte und einen Spaß mache, und dann habe sie diese Zeilen, auch wenn die Botschaften sehr lustig, aufregend und auch schmeichelhaft gewesen seien, natürlich unbeantwortet stehen lassen. Das sei alles mehr, und wie solle sie das nur sagen, mehr wie in einem Spiel gewesen, sagte Sandra, aber sie habe natürlich nicht mit ihm spielen wollen, seinen Gefühlen, und darüber sei sie dann doch erschrocken.
Sandra lächelte. Sie errötete ein wenig.
Sie wolle überhaupt keine Beziehung, sagte Sandra. Zu gar keinem Mann. Sie wolle nur Freunde. Das seien einfach zwei unterschiedliche Programme, nicht kompatibel, sagte Sandra.
Sie wolle bald nach London gehen. Eigentlich schon seit mehr als einem Jahr, warte aber noch, denn es könne sein, dass sie vorher noch ein halbes Jahr nach New Orleans zurückkehre, dort habe sie Freunde.
Thomas nickte. Das konnte er verstehen. Es wollten ja alle nach London, in ihrem Alter. Als müssten sie zur Armee. Thomas Frantz nickte und rauchte.
Sandra beugte sich zu ihm vor. Es sei schöner, Freunde zu haben als eine Beziehung. Freunde seien immer da. Freunde
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