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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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Dauervuvuzela.
    Thomas schwitzte. Er verspürte einen Druck hinter der Stirn, seit dem frühen Morgen. Er war mit Sandra verabredet. Ort der Verabredung: ein Café in der Nähe des Teutoburger Platzes, das Thomas ausgesucht hatte, weil es dort ruhiger zugeht. Sandra hatte ihn angerufen. Sie hatte gesagt, es bestehe Gesprächsbedarf. Thomas war einverstanden gewesen. Sie hatte gesagt, weil sie schon den Tag bestimmte, dürfe er Ort und Uhrzeit bestimmen. Es war heiß, und Thomas ging langsam. Er bog in die Fehrbelliner Straße und überquerte den Teutoburger Platz. Er setzte sich an einen Tisch vor dem Café, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und rauchte, als Sandra noch einmal anrief. Sie werde sich verspäten. Sie habe an der Bewerbung für ein Stipendium in London gearbeitet und darüber die Zeit vergessen. Dafür versprach sie ihm eine Überraschung. Sie klang vergnügt.
    Am Nachbartisch saß ein junger Typ mit einem zitronengelben Irokesenschnitt. Sein Haar war steif aufgerichtet. Die Spitzen stachen wie ein Fanal in den Himmel. Er trug trotz der Hitze einen schwarzen Anzug. Sein weißes Hemd war bis zum Kragen zugeknöpft. Thomas kam diese Frisur bekannt vor. Er hatte sie schon öfter gesehen auf der Schönhauser Allee, der Mann musste hier irgendwo wohnen oder in ein Büro gehen. Der Typ mit dem gelben Irokesen saß vor einem kleinen, auf ein feines Gestell gesetzten Bildschirm und schrieb etwas auf einer ebenso kleinen, drahtlosen Tastatur.
    Thomas rief nach der Kellnerin, da bemerkte der Typ Thomas’ Blick. Der Mann mit dem gelben Irokesen stand auf.
    »Prometheus, Zentrale Gehirnarchitektur. Politik, Unterhaltung, Kultur und binäre Lösungen. Jascha, angenehm.« Der Typ reichte Thomas die Hand.
    Thomas erhob sich ein wenig, stammelte eine freundliche Antwort und setzte sich wieder. Er war in Gedanken und mochte sich nicht auf ein Gespräch einlassen. Der Mann ließ nicht locker.
    »Wir produzieren Meinungen und Kommentare. Blogs. Wir nennen das Arbeit.« Der Mann mit dem gelben Irokesen grinste.
    Thomas sah auf. Der Mann hatte einen Flaum auf der Oberlippe.
    »Wir sind Autoren, Sammler und Systemiker. Wir beobachten und schlachten aus. Bürsten gegen den Strich. Immer aus der anderen Perspektive. Wir haben kein Büro. Wir sind immer und überall. Hier und anderswo. Wir arbeiten in Cafés, Unis, U-Bahn-Stationen, auf belebten Plätzen, wir sitzen in Krankenhäusern, Einkaufszentren, Versammlungen, Hinterhöfen und Krematorien. An allen Orten, wo man uns nicht braucht. Wir beobachten, sammeln und stellen das Gesammelte und Kommentierte ins Internet. Zu jeder Zeit. Und jeder kann uns einfach herunterladen und weiterverwenden. Darüber freuen wir uns.«
    Jaschas Brustton des Stolzes und seine schonungslose Mitteilsamkeit begannen Thomas zu interessieren.
    »Wovon lebt ihr dann, wenn ich fragen darf? Wenn euch jeder herunterlädt und verwendet?«
    »Binäre Lösungen. Wir machen Meinungen und Blogs und unterwandern damit die Gesellschaft.«
    »Ach! Und was macht ihr, wenn ihr die Gesellschaft unterwandert habt?«, fragte Thomas. Seine Neugierde war endgültig geweckt.
    »Wir bieten binäre Lösungen.« Jascha grinste.
    »Binäre Lösungen?«
    »Interaktive Werbung.«
    Thomas musterte den Mann mit dem gelben Irokesen verwundert. Jascha bemerkte das. Er schien es für angebracht zu halten, eine nähere Erläuterung folgen zu lassen.
    »Zum Beispiel der amerikanische Präsident. Zum Beispiel ein probiotischer Yoghurtdrink. Zum Beispiel ein Jeanslabel oder eine Volkspartei. Das Prinzip ist immer das Gleiche.«
    »Was für ein Prinzip?«
    »Den User suchen, finden und einbinden. Der User will aktiv sein. Du, ich. Reaktiv, interaktiv. Du musst die Kreativität der User wecken, das ist die Zukunft. Wenn du es als Autor verstehst, den Leser zu fesseln, kannst du ihm irgendwann alles verkaufen. Wenn ein Blog, eine Website, ein kleines Video auf YouTube es versteht, den User zu begeistern und seine Kreativität zu wecken, kauft er alles. Egal ob das Produkt ein Turnschuh ist oder ein Präsidentschaftskandidat. Er kauft es nicht nur, er wird auch jeden anderen, den er kennt, davon überzeugen, es zu kaufen. Obama hat das verstanden. Er ist der erste Präsident, der im Internet gewonnen hat …«
    »Obama wurde von einer breiten Mehrheit gewählt«, unterbrach ihn Thomas.
    »Er hat die Swing States im Internet gewonnen.«
    »Wo zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel Florida. In Florida gibt es eine Wählerschicht, die

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