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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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Verkäufer schieben die restlichen Glastüren beiseite. Dann flüchten sie durch die Kassengänge hindurch nach hinten.
    Der Damm ist gebrochen.
    Der Sog erfasst auch Frantz, Fred und Cynthia. Sie werden hineingezogen in den Schlund, in das Grölen, es ist nicht auszumachen, ob es Schmerzensschreie sind oder Verzückung, ob es eine Höllenfahrt ist oder ein Rockkonzert. Frantz erinnert sich an Bilder orthodoxer Muslime bei einem Opferfest. Männer, die sich Macheten und Rasiermesser auf die Köpfe schlagen und Blut in ihren Gesichtern verschmieren. Wer sich gegen den Strom stemmt, wird überrollt. Drin geht das Gedränge weiter. Vorn stehen Wachmänner. Hinten stehen Angestellte. Die Wachmänner versuchen, die Kassen zu schützen. Die Verkäufer verschanzen sich hinter Stapeln aus Kartons. Hinten fliegen Digicams und Fotoapparate durch die Luft. Vorn schlägt ein Wachmann zu. Die Rolltreppe bleibt stecken. Dort schieben sie. Eine Gasse bildet sich. Jemand liegt am Boden. Niemand geht hin.
    CallYa-Paket mit Motorola RAZR V3 39,– Euro.
    Kartons stehen wie Oxer auf einem Parcours. An den Wühltischen Fight Club, Bourne Identity 5,– Euro . Arschloch! Wixer! Da Vinci Code, Underworld Evolution. Komm doch, du, du …! Flutsch und weg. Was? American Psycho, Gladiator. Du Drecksau du! Rambo Trilogy. Ein Mann bekommt eine Faust in den Magen. Der Pate Collection . Ein Flachbildschirm kracht und splittert. Philips 42PFL7404H – 107cm (42“) LCD 599,– Euro. Der Mann knickt ab. Er sackt zu Boden. Verpiss dich, Kanake.
    Die Computer sind oben. Dort stehen auch die meisten Xboxen. Ein Wachmann winkt Cynthia in den Aufzug. Frantz und Fred folgen. Eine Frau springt rein, Typ hinterher. Die Tür ist zu. Ein Halbstarker knallt dagegen. Der Wachmann zieht den Knüppel aus dem Halfter. Er droht dem Jungen durchs Glas.
    Im dritten Stock haben sich Gruppen gebildet. Sie tragen die Stapel der Xboxen ab und schichten sie um. Sie schichten sie entlang der Wände zu eigenen Türmen aus Xboxen, Cams und Konsolen. Sie stapeln Autoradios und Navigatoren. Sie telefonieren. Sie rufen Verstärkung. Jemand brüllt in ein Handy. Ey, willst du ’ne Xbox kaufen? Dreihundertfuffzig! Frantz bahnt sich seinen Weg. Fred stopft unterwegs 300-Gigabyte-Festplatten in Cynthias Einkaufsbeutel, schnappt sich einen HP und ein paar USB-Sticks. Frantz hat die Palette mit den Toshibas gefunden. Fred stapelt Packen von Druckerpapier auf Cynthias Schoß. Frantz zieht ein Paket mit der Aufschrift Satellite L40 vom Stapel.
    »Los, nix wie raus hier.« Fred wirkt nervös.
    Da hört Frantz laute Techno-Musik.
    Ein dumpfer, stampfender Beat, wie aus dem Nichts.
    »Was’n das?«
    Fred sieht Frantz erstaunt an.
    »Isch das jetzt die verkaufsfördernde Fahrstuhlmusik?«
    Fred lacht sein einsilbiges Lachen.
    »Tha!«
    Kracks, Spratz, Spratz.
    Eins-zwei-drei, lasst die iPods frei!
    Eine Stimme wie aus Lautsprechern. Eins, zwei, drei, lasst die iPods frei! Eine Stimme wie auf einer Demo. Der aggressive Beat hämmert durch alle Etagen. Eins, zwei, drei! Lasst die iPods frei! Es ist die helle Stimme einer Frau. Eins, zwei, drei! Andere Stimmen fallen in den Slogan ein. Eins-zwei-drei – lasst das Kaufen sein – eins, zwei, drei – wir laden euch zum Plündern ein …! Wohl eine Spontitruppe, mutmaßt Frantz.
    Frantz sieht im Aufzug, wie sie unten auf den Tischen tanzen. Junge Typen mit Sonnenbrillen und Frauen mit langen Filzlocken. Wie auf einem Folk-Happening. Zwei, drei. Der Wachmann hat einen Schlagstock mit Seitengriff. Er klemmt ihn unter den Arm wie einen Exerzierstab und schiebt Cynthia vorbei an den Wartenden, als wäre das seine heilige Pflicht. Eins, zwei. Die Wartenden drängen sich vor den Kassen. Frantz sieht, wie sie sich mit Packen und Paketen mühen. Eins, zwei, drei. Hinten stehen sie breitbeinig auf den Wühltischen und wackeln im Takt. Vorn stehen Polizisten auf den Kassentischen und drohen in die Luft.
    Als sie wieder auf dem Alexanderplatz standen, sahen sie das Aufgebot. Einsatzwagen, Rettungswagen. Noch immer hörten sie Schreie, Pfiffe. Sirenen. Mit Paketen beladene Menschen strömten an ihnen vorbei. Sie verschwanden im Untergrund. Autonome rannten brüllend davon. Der rote Kleinbus fuhr weg. Thomas Frantz hatte seinen Toshiba. Sie verstauten alles in den Taschen. Freds Drucker, die Sticks, die Festplatten. Sie öffneten das letzte Bier. Das Papier zurrten sie mit Frantzens Fahrradexpandern am Rollstuhl fest. Cynthia hatte eine kleine Kamera

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