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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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Soll sie doch aufpassen, wo kommen wir denn da hin? Nur weil sie behindert ist? Behinderte soll man gleich behandeln. Wer schenkt mir denn was? Ach, Alfonso, warum nur. Ich würd doch nix sagen, nix sagen. Klara. Schweizerische Kirchenzeitung, Schaftstiefel. Jeder Mensch trägt die Idee der eigenen Vollendung auf der Stirn. Klara. Vulgärplatonistin, Spitzenhöschen, im Schritt offen. Warum nur können wir unsere Liebe nicht leben? Alfonso, warum?
    »Wie bitte?«
    Cynthia stützte sich auf die Armlehnen, als wolle sie aufstehen. Um ein Haar wäre sie explodiert. Flink stellte sich Fred vor den Rollstuhl und drückte sie sanft wieder in den Sitz.
    »Sag mal, hat die eben Püppi zu mir gesagt? Kann das sein?«
    Wir spielen hier die 70er, 80er, 90er. Die Frau in der schwarzen Lederjacke schlüpfte durch eine Gruppe Jugendlicher, Frantz sah sie nicht mehr.
    »Komm, vergiss es«, sagte Fred.
    Das Beste von heute.
    Cynthia, die bitteren Tränen der. Cynthia war ein Einzelkind. Sie war in Pankow geboren, das Wunschkind ihrer Eltern. Chondrodystrophie, disproportionierter Zwergwuchs. Angeborene Störung der Knochenbildung, das passiert statistisch in einem von dreißigtausend Fällen. Ihre Eltern waren Architekten. Ihre Mutter legte Gärten an in Berlin und in Brandenburg, Papa baute den Palast der Republik, und Cynthia wuchs nicht.
    Als sie drei Jahre alt war, war sie nur wenig größer als ein Neugeborenes. Alle Bemühungen, sie zum Laufen zu bewegen, schlugen fehl. Eine Muskelschlaffheit verlangsamte ihre Entwicklung, besserte sich aber. Sie litt an Atemwegsinfekten und Mittelohrentzündungen. Als sie vier Jahre alt war, wurde ein Kinderrollstuhl angeschafft. Später kam Milchschorf hinzu. Eingeschränkte Funktion der Nieren, Leber und Gallenwege. Hypertonie. Ihr Krankenblatt wurde jedes Jahr länger. Die Zahl ihrer Aufenthalte in Kurhäusern und Rehabilitationszentren wuchs.
    Cynthia besuchte einen Behindertenkindergarten und die Sonderschule. Ihre Klasse bestand aus fünf Schülern. Sie besuchten die Patenbrigade des VEB Werk für Fernsehelektronik Berlin-Oberschöneweide. Sie besuchten das Ostseebad Binz und die Sendeanlage im Fernsehturm. Sie feierten internationalen Kindertag. Ach Jottchen, so ’n Würmchen hätte der Hitler aber erlöst, sagte die Vorarbeiterin der Brigade. Der Busfahrer war sehr fröhlich mit den Kindern. Mit einer Ausnahmegenehmigung besuchte Cynthia die polytechnische Oberschule. Sie hatte Anspruch auf Arbeit in einer Behindertenwerkstatt.
    Zweimal in der Woche fuhr sie zur Physiotherapie. An jedem Mittwochnachmittag besuchte sie seit einem Jahr ein junger, gut aussehender Mann vom Sozialdienst. Sie gingen ins Eiscafé in der Einkaufspassage am Alexanderplatz. Er studierte Computerlinguistik. Cynthia mochte ihn. Alle anderen hatte sie mit ihren kapriziösen Launen vergrault. Der junge Mann war charmant.
    Die meiste Zeit verbrachte Cynthia im Netz. Chatvillage, Lavachat, die mit dem Feuer. LoveChat, die mit dem Herzen. Chatworld, die mit den Teufeln. Sie flirtete und lachte. Nette Schnecken findest du hier, verkriechen war gestern. Sie spielte und hatte Spaß. Smiley + Bärchen = Knuddel Chats. Sie benutzte Namen aus Kinderbüchern. Sie ließ sich die Karten legen, die Liebe und das Leben vorhersagen, sie bestellte Topflappen.
    Auch Fred chattete, und er hatte Cynthia in einem Chatroom kennengelernt. Zuckersüß war die, schwor Fred, als Frantz ihn einmal danach fragte, zuckersüß.
    Sie fuhr Auto, sie ging zum Brunnen der Völkerfreundschaft. Sie ging zum Frisör im Haus der Elektrotechnik, sie las Zeitschriften. Sie schminkte sich und ging ins Kino in der Passage am Fernsehturm. Sie hielt Diät und liebte Mohnschnecken und die Weltzeituhr am Alexanderhaus. Sie ging essen ins China-Restaurant im Nikolaiviertel und zum Mexikaner im Haus des Reisens, sie kaufte Strümpfe in der Galeria Kaufhof. Sie tat alles, was andere Frauen in ihrem Alter auch taten.
    Als Fred sie das erste Mal im Eiscafé in der Passage traf, hatte er mit allem gerechnet, nur nicht mit dem Rollstuhl. Sie lächelte. Sie trank Cappuccino mit Sahne, sie aß Eierkuchen mit Karamell und heißen Himbeeren. Er trank Tee und trug eine dünne Krawatte zum gelb karierten Sakko. Was soll ich sagen? Zuckersüß war se! Da war mir der Rollstuhl dann egal. ’s isch, wie’s isch, hatte Fred gesagt, und da hatte es für die beiden kein Halten mehr gegeben. Eh sich Fred versah, wohnte er mit ihr in einem Mietshaus an der Nikolaikirche. Seit

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