Gehwegschäden
Augen.
»Keen anderet Jebäude in Berlin, und ick sage ma in janz Deutschland, besitzt eine derartije Jeschichte.«
Dann fällt sein Blick auf seine Mappe. Er öffnet sie und zückt ein Papier.
Geschichte II. Zur Vorlage an Bauherrn Cisco Venture, London. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude verstaatlicht. Zur Vereinigung von SPD und KPD zur SED wurde es 1946 Sitz des Parteivorstandes. Ab 1950 des Zentralkomitees der SED. Eine im Jahr 1976 angebrachte Gedenktafel am Haupteingang des Gebäudes erinnert daran, dass der erste und einzige DDR-Präsident Wilhelm Pieck hier arbeitete. Eine weitere, 1988 angebrachte Tafel erinnert an den Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. Ab August 1946 erhielt das Haus den Namen Haus der Einheit. Einen Monat später wurde es umbenannt in Zentralhaus der Einheit. Während der Unruhen am 17. Juni 1953 wurden das Haus der Ministerien und das Zentralhaus der Einheit von Arbeitern angegriffen. Von 1959 bis 1989 war das Gebäude Sitz des Institutes für Marxismus-Leninismus (IML) und beherbergte das Parteiarchiv der SED sowie das historische Archiv der KPD. Es dürfte wohl reichen, der Presse gegenüber zu erwähnen, dass das Arbeitszimmer von Wilhelm Pieck als Gedenkzimmer restauriert wird. Im Hinblick auf ostdeutsche Befindlichkeiten bleibt hier ein musealer Gedenkcharakter erhalten. 1990 erfolgte die Umbenennung in Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung, welches bis zum 31. März 1992 abgewickelt wurde. Ab April 1992 war das Gebäude Sitz des Verbundes Archiv, Bibliothek und Werkstätten beim Parteivorstand der SED-Nachfolgepartei PDS. Ende 1992 wurden Archiv, Bibliothek und Werkstätten ins Bundesarchiv eingebracht. Ende 1995 erfolgte der Umzug nach Berlin-Lichterfelde. Seitdem steht das Gebäude leer.
Sie stehen im Innenhof und blicken die sieben Geschosse hinauf. Es ist ein sonniger Tag. Der Denkmalschutzgutachter ist bester Laune. Die Dame im Büro des Architekten hatte gesagt, in diesem besonderen Fall sei der Denkmalschutzbeauftragte ausnahmsweise vom Bauherrn beauftragt und bezahlt worden, zum Zwecke der Beschaffung bau- und denkmalrechtlicher Genehmigungen, eine Auflage der Behörde im Bezirksamt Pankow, Denkmalschutzbehörde und Stadtplanungsamt. Der kleine Bagger steht im Hof. Dort befindet sich ein Loch im Boden von der Größe eines Einfamilienhauses.
»In den Jaragen, wat einst die verjlaste Stoffabteilung des Kaufhauses war, haben die Nazis wie die SED-Oberen ihre Karossen jeparkt«, sagt Müller und deutet auf die dahinterliegenden heruntergekommenen Flachgebäude. Ein leichtes Grinsen legt sich auf seine schmalen Lippen. Frantz quittiert das mit Augenaufschlag und einem Lächeln. Müller trägt eine grüne Fliege. Er geleitet Frantz in das Hauptgebäude. Keiner trägt einen Bauhelm.
»Entsprechend dem Kreditjeschäft war der Anteil an Büroräumen im Warenhaus recht groß«, sagt Müller. »Unten jab et die Stoffabteilung und sojar ’nen Warenkatalog, aber noch keen Versand. Im sechsten Oje waren die Kantine und im siebten Stock Lagerräume. Auf dem Dach ein Restaurang mit dreihundert Plätzen und ’nem wirklich herrlichen Blick auf den Alexanderplatz, Reichstag und Tierjarten. Man kann et sich heute noch janz schön vorstelln, wie herrschaftlich et sich für diese Jejend dort oben speisen ließ«, sagt Müller.
Seine Stimme hallt. Sie klingt wie ein gescratchter Dauerton bei einem Hörtest. Sie stehen mitten im Riesenraum. Der Schuttberg ist weg. Auch die Pfützen. Alles ausgefegt.
»Nun zum Umbau. Der bejinnt neunzehnhundertsiemunddreißich. Et is jeplant, die vierzehn verstreuten Dienststellen der Reichsjugendführung in eim Jebäude zu bündeln. Ick meine, der neue Bauherr bündelt ja ooch, Cool Media heißt det heute, und die Hitlerjugend war ja mit ihre neun Millionen Mitglieder ooch Cool Media und ideolojische Schmiede der Diktatur, und se verlangte nach eim zentralen Jebäude. In die lichtdurchfluteten Etagen werden Parzellen einjebaut, Büros mit Leichtbauwänden. Dazu werden neunhundert Quadratmeter Koksascheplatten, dreihundertdreißich hölzerne Türen und dreihundertfünfundzwanzich Lampenanschlüsse benötigt. Det jeht aus eim Schreiben der Firma Treuwerk an den Bezirk hervor. Die Kosten lajen bei hundertvierzichtausend Reichsmark. Die Bronzefassaden wurden abjerissen. Die Schaufenster zujemauert«, sagt Müller. Er räuspert sich.
»Wissen Sie, wo Baldur von Schirach saß?«
»Nee, weeß ick nich«, sagt
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