Gehwegschäden
mich in Ruhe!«
Ging er nicht dran, ließ sie es klingeln, bis er abnahm.
»Ich muss arbeiten, keine Zeit!«
Kaum hatte er aufgelegt, klingelte es.
»Was willsch’n schon wieder? Ich weiß nicht, wo deine Haarbürste isch«, brüllte er.
Dann knallte er den Hörer auf.
Um Punkt fünf Uhr ging er runter zum Kurden. Dort kaufte er eine Packung Zigaretten und sechs Bier. Wenige Minuten später keuchte er die Treppe rauf. Frantz hörte das Klappern der Flaschen. Fred trug sie im Affengriff zwischen den Fingern. Das hatte etwas Verlässliches. Man konnte die Uhr nach ihm stellen. Danach würde Fred Rechnungen schreiben und Bestellungen abrufen.
Alles, was Thomas Frantz dabei verstand, war, dass Fred – neben einer unregelmäßigen Beratertätigkeit – Webseiten für eine Galerie, ein Schwimmbad, eine Floristin, einen Architekten und eine Anwaltskanzlei entwarf und pflegte. Sein Kerngeschäft aber bestand darin, von ihm selbst entwickelte Webportale und Internetshops zu betreiben. Das war ein Portal für Psychologen, Masseure und Heilpraktiker, solches Kroppzeug, sagte Fred. Das Portal firmierte unter dem Namen Heileheilegänschen.de. Fred trank und rauchte und arbeitete an seinen Versandhäusern. Das waren ein Webshop mit dem Namen Tabakselbstanbauen.de und ein Versand für S/M-Devotionalien. Mit seinem Partner im Badischen vertrieb er Tabaksamen wie Geudertheimer, Virginia und das Russenkraut Machorka. Sie stellten Pflanzenanzuchtsets, Fermentierkästen und Drehmaschinen her und verschickten sie. Im S/M-Versand hatte er Lederpeitschen, Daumenschellen und hölzerne Schandgeigen im Angebot. Sogar eine Panzerknackerkugel mit Fußkette gehörte zum Sortiment. Das war sein Lieblingsutensil. Neben einem gewöhnlichen Zigarrenschneider. Er vertrieb ihn als Scherzartikel unter der Bezeichnung »A Rabbi’s pocket circumciser«.
Auf Zehenspitzen stehend schätzte Frantz die Lage ein. Von der Galeria Kaufhof, dem Berolina-Gebäude und der Keibelstraße her drückten Neuankömmlinge das Zentrum der Masse immer bedrohlicher zusammen. Vor dem neuen Kaufhaus hatten Sicherheitskräfte eine Absperrung aus mobilen Zäunen angebracht. Dazwischen hatten sie drei schmale Durchgänge gelassen. Dort standen Wachleute. Frantz, Fred und Cynthia befanden sich im vorderen Mittelfeld. Langsam rückten sie auf. Fred und Frantz versuchten, beidseitig von Cynthia einen kleinen Abstand zu verteidigen.
Frantz spürte einen schweren Körper in seinem Rücken. Er stemmte sich gegen die Masse, die Masse stemmte sich gegen seinen Rücken. Frantz spannte seine Muskeln an und nahm die Grundstellung ein. Auslegerbein vor, das rechte zwei und einen halben Fuß versetzt, Ballen federnd. Frantz nahm die Arme vor den Körper. Er war jetzt ganz stabil, das Bild eines Boxers. Er hörte eine tiefe Stimme.
»Piss die Wand an, Mann.«
Frantz wandte den Kopf, seine Schulter hielt dem Druck noch stand, er sah den Mann an. Frantz roch Atem.
Gerkan: Nach dem Überfall die Xbox. Gerkan, piss die Wand an, der dicke Gerkan. Obst & Gemüse, packen, preisen, wischen, wichsen im Klo. Gerkan, der dicke Gerkan, jeden Mittag Türle, Gemüsebrei mit Reis, Gemüsebrei mit Reis. Aral Tankstelle, Hauptstraße, 19.43 Uhr, 224 Euro mit vorgehaltener Pistole Sig Sauer P 220. Danach Doppel Whopper, Big King XXL, Hot Chili Double, Coke, der dicke Gerkan. Uhren-Katz, Mehringdamm, 21.52 Uhr, Arterienschnitt der linken Achselhöhle und Zertrümmerung des Schädels mittels eines Hammers. Piss die Wand an, Mann.
Der schwere Mann schlüpfte seitlich an Frantz vorbei und walzte auf den Rücken einer zierlichen Frau zu. Von allen Seiten erhöhte sich der Druck. Fred lag halb auf Cynthia. Cynthia rollte zur Absperrung. Sie stieß gegen einen älteren Mann in der Menge, der Mann schrie auf. Er rieb sich die Achillessehne. Ein Junge lachte. Auf einem roten Kleinbus stand: 104.6 RTL. Folge uns auf Twitter. Werde unser Freund auf Facebook. Der Junge trug Kopfhörer. Der alte Mann fluchte. Wir spielen die 70er, 80er, 90er und das Beste von heute, hallte es vom roten Kleinbus in einer Endlosschleife über den Platz. Der Junge zeigte Zunge. Eine andere Frau mischte sich ein. Sie fuhr Cynthia an:
»Ey, Püppi, glaubst du, du bist hier was Besonderes?«
Klara: Pass auf, dass dir nichts passiert. Klara. Katholisch, Rätoromanin, Wollrock. Klara, liiert mit einem Schweizer Clown und Priester, er hält den Zölibat. Klara, Journalistin, halterlose Netzstrümpfe. Da kann ja jeder kommen. Hier.
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