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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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überreicht sie ihm vertrauensvoll einen Brief, in dem sie ihr Herz öffnet und dem König ihre tiefste Zuneigung bezeugt. Sie schreibt, dass sie hoffe, er werde sie nach England kommen lassen. Unterzeichnet: »Lea-Anna B ... ä l’höpital Ste-Anne. Paris, le 20 decembre 1920.« Diese List, erklärt Clerambault seinen Kollegen, funktioniere immer wieder bei Patientinnen mit diesem Leiden.
    Nach 1920 schrieb Clerambault noch rund ein Dutzend Artikel über die Krankheit, die heute als >Clerambault-Syndrom< bekannt ist. 3 Bei den Patienten handelte es sich fast durchweg um Frauen in bescheidenen Anstellungen als Arbeiterinnen, Dienstbotinnen oder Näherinnen, die >verliebten< Männer waren Offiziere, Priester, Arzte oder Richter. Bei der Erotomanie pure<, der primären Variante, war die Überzeugung, einen Verehrer zu haben, das einzige Symptom, das auf eine Störung hinwies, bei der >erotomanie associee<, der sekundären Variante, war die Erotomanie Teil eines umfassenderen Wahnsystems. Die fünfzigjährige Clementine D., eine ehemalige Modeverkäuferin, die der Societe im Juli 1921 präsentiert wurde, war ein Fall von Erotomanie asso-ciee<. Clementine glaubte, ein Priester sei in sie verliebt und miete eine teure Wohnung für sie, aber sie war auch davon überzeugt, dass die Nachbarn sie mit elektromagnetischen Maschinen zu beeinflussen versuchten. 4 Primär oder sekundär, die Störung hatte einen festen Verlauf. Meist begann sie mit einem persönlichen Kontakt, egal, wie flüchtig und einseitig er auch sein mochte. Die Patientin hatte vielleicht einer Predigt zugehört oder eine Sprechstunde besucht. Anfangs schätzte sie ihre Chancen optimistisch ein, suchte Kontakt über Besuche, Briefe und kleine Aufmerksamkeiten. Wenn der Mann den Kontakt ablehnte, verlor sie allmählich den Mut. In manchen Fällen versuchte sie, sich an dem Mann oder an seinem Umfeld zu rächen. Dass der Mann in vielen Fällen schon verheiratet war, schien sie nicht zu stören: Diese Ehe war unbedeutend, der Mann liebte sie und niemanden sonst. Mehr als einmal landeten Patientinnen in der Infirmerie, weil die Polizei sie wegen Aggressionen gegen den Ehemann aufgegriffen hatte. Clerambault hielt die Störung für unheilbar. Henriette H., die im Mai 1923 in der Infirmerie befragt wurde, hatte sich mit siebzehn Jahren während eines Gottesdienstes in einen jungen Priester verliebt. Siebemmddreißig Jahre später und nach diversen Verhaftungen wegen Ruhestörung in der Kirche, nahm sie nur in solchen Haushalten eine Stelle als Dienstbotin an, die über ein Telefon verfügten, damit sie ihre Verfolgung telefonisch fortsetzen konnte. 5

DAS HAUPTQUARTIER DES WAHNSINNS
    Sein vollständiger Familienname lautete Gatian de Clerambault. 6 Von den sechs Vornamen, die Clerambault bei seiner Geburt im Jahre 1872 erhält, führt er nur den ersten: Gaetan. Mit dreizehn
    Jahren kommt er nach Paris und besucht das College Stanislas. Der junge Clerambault wird als >un peu turbulent< beschrieben, beendet jedoch die Ausbildung und studiert im Anschluss Jura. Das Studium kombiniert er mit intensivem Zeichenunterricht an der £cole national des Beaux-Arts. Nach seinem Examen wird er einberufen. Er dient bei der Artillerie - übrigens dank der Beziehungen seiner Eltern: Ihm fehlen drei Zentimeter für die durchaus angemessene Mindestgröße von 1,60 Meter.
    Der klein geratene Mann entwickelt einen Lebensstil, der zum Martialischen neigt. Er ist ein ausgezeichneter Reiter und praktiziert das soeben erst in Frankreich bekannt gewordene Jiu-Jitsu. Später sollte er während des Ersten Weltkriegs auf eigenen Wunsch an vorderster Front kämpfen und zweimal schwer verwundet werden. Er hat ein leicht erregbares Temperament. Während einer Sitzung der Societe glaubte Clerambault einmal, der Redner hätte seine Ideen gestohlen, und geriet in Wut. Obwohl das Duell in Frankreich schon seit den Tagen Ludwigs XIV. gesetz- Gaetan Gatian de Clerambault (1872-1934).

    lieh verboten und niemals Bestandteil des akademischen Diskurses gewesen war, forderte Clerambault nun zwecks Genugtuung genau das: ein Duell. 7 Kollegen mussten eingreifen.
    Nach der Wehrpflicht beschließt er, ein Medizinstudium aufzunehmen. Clerambault promoviert 1899 mit einer Dissertation über das Geschwür, das >Boxerohren< verursacht. Seine Leidenschaft gilt jedoch schon zu dieser Zeit der Psychiatrie. Gemeinsam mit Capgras kommt er 1898 als Assistenzarzt in den Dienst der >Asiles de la Seine<, eines

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