Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
fällt, und späht angestrengt in sein Mikroskop. Der Kontrast zu den beiden Fotos, die Nature dem Interview mit Zilles beifügte, könnte nicht größer sein. Auf einem der beiden ist das Mikrotom abgebildet, das vollautomatisch die Präparate schneidet, die später - wiederum vollautomatisch - vom Computer gezählt und kartiert werden, auf dem anderen ist der Forscher selbst zu sehen, in lachender Pose neben einigen vergrößerten Schnitten, die als gerahmte Kunst an der Wand hängen. Der Umschwung zur >mechanischen Objektivität« hat auch der Ikonographie des Forschers eine andere Gestalt gegeben.
KRUPPSTAHL
Zweifellos wird man 2009 der Tatsache gedenken, dass ein fast zehn Jahre währendes Starren und Berichten zu einer Kartographie geführt hat, die noch immer zum täglichen Instrumentarium von Neurologen gehört. Vita brevis, ars longa - das Leben ist kurz, die Kunst ist lang: ein auf Brodmann besonders zutreffender Satz, denn die Geschichte seines Lebens nach dem Atlas ist nur kurz. 1910 schlug ihm Kraepelin vor, seine Forschungen zum Cortex des Halbaffen bei der Medizinischen Fakultät als Habilitationsschrift einzureichen. Brodmann war sehr verbittert, als seine Forschungsarbeit mit dem Prädikat >ungeeignet< abgewiesen wurde. In den zehn vorangegangenen Jahren hatte er sich einen soliden Ruf in der topographischen Anatomie erworben, und mit der arroganten Ablehnung einer seinen besten Untersuchungen habe die Berliner Medizinische Fakultät, so Vogt später in seinem Nekrolog, »eine untilgbare Schuld« auf sich geladen. 24 Die Ironie liegt jedoch darin, dass die Ablehnung vor dem Hintergrund von Vogts eigenen Schachzügen erfolgte.
Brodmanns Laufbahn war an entscheidenden Punkten mit der Karriere Vogts verbunden, was für Brodmann nicht immer vorteilhaft war. Oskar Vogt, zwei Jahre jünger als Brodmann, hatte in Jena Medizin studiert. 25 Unter schwierigen finanziellen Umständen aufgewachsen, wachte Vogt unablässig darüber, was seiner gesellschaftlichen Stellung nützte, und schuf nötigenfalls selbst die Bedingungen dafür. 1896 akzeptierte er die bescheidene Anstellung als Kurarzt in Alexanderbad, weil er hoffte, auf diese Weise mit einer reichen Klientel in Kontakt zu kommen. Und das gelang ihm auch. In Alexanderbad ließ sich nämlich auch die Familie Krupp nieder. Zunächst wurde er behandelnder Arzt der Schwägerin des Stahlmagnaten Friedrich Albert Krupp, dann behandelte er dessen Frau Margarethe und schließlich den Magnaten selbst. Alle drei fanden Heilung durch eine hauptsächlich aus Hypnose bestehende Therapie. Der charmante Vogt stieg schon bald zur Vertrauensperson der Krupps auf und begleitete die Familie 1898 auf einer Kreuzfahrt durch das Mittelmeer. Während der Reise gelang es ihm, Friedrich Albert dazu zu bewegen, ein Laboratorium finanziell zu unterstützen, in dem - vorläufig fernab der akademischen Bürokratie - Hirnforschung betrieben werden sollte. 1899 gründete Vogt, der mittlerweile mit der französischen Neurologin Cecile Mugnier verheiratet war, in Berlin seine Neurologische Zentralstation.
Dass in einer Wohnung an der Magdeburger Straße ein ausgezeichnet ausgestattetes neurologisches Institut gegründet wurde, schuf böses Blut an der Medizinischen Fakultät der Fried-rich-Wilhelms-Universität. Vogt und Krupp waren beide der Ansicht, dass die Zentralstation auf Dauer zu einer Abteilung der Universität werden sollte. Hierzu reichte Vogt ein Forschungsprogramm ein, das nahezu postwendend abgelehnt wurde. Doch Krupp hatte einflussreiche Freunde - unter ihnen Kaiser Wilhelm II. -, und die universitären Autoritäten mussten 1902 gestatten, dass die Zentralstation als >Neurobiologisches Laboratorium« verwaltungstechnisch dem Physiologischen Institut der Universität eingegliedert wurde. Ein Jahr zuvor hatte Brodmann seine Stelle als Neurotopograph im Institut angetreten.
Im November 1902 hing das Schicksal des Laboratoriums an einem seidenen Faden. In einem italienischen Boulevardblatt waren Berichte über Krupps homosexuelle Aktivitäten mit jungen Italienern in seiner Urlaubsvilla auf Capri erschienen. Am 15. November veröffentlichte die Zeitung der Sozialistischen Partei ähnliche
Berichte. Am 22. November wurde Vogt eilends zu Krupp gerufen, der im Sterben lag. Auf dem Totenschein vermeldete Vogt »akutes Herzversagen« als Todesursache. Als Wilhelm II. den Sozialisten öffentlich vorwarf, Krupp in den Tod getrieben zu haben, und es in den drei darauffolgenden
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