Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
l’Horloge aus zu sehen war -noch dazu für jemanden, der schon vor der Befragung so seine Vermutungen über die wahren Triebfedern ihres Handelns gehabt haben muss.
HYSTERISCH, FRIGIDE, PERVERS, DEGENERIERT
Die Frauen, alle in den Vierzigern, waren wegen des Diebstahls von Seide verhaftet worden. Bei allen vieren handelte es sich um Wiederholungstäterinnen (alle vier waren rückfällig geworden). Eine von ihnen war bereits mehrfach verurteilt, immer wieder wegen Diebstahls von Seide. Warum Seide? Die Befragung der ersten Frau, der vierzigjährigen V. B., die sich im Frauengefängnis von Fresnes in Haft befand, dauerte fünf Tage. Sie wurde speziell dafür in die Infirmerie überstellt. Nach langem Drängen erzählte die Frau, von Weinkrämpfen unterbrochen, sie benutze die Seide zum Masturbieren. Sie hatte es noch nicht einmal ihrem Anwalt erzählt, aus Angst, er würde dies während der Verhandlung an die Öffentlichkeit bringen. Die anderen Frauen stahlen die Seide aus demselben Grund. Das Verlangen nach Seide war so groß, dass sie sich nicht beherrschen konnten. Sie betraten ein Modegeschäft, rafften einen Artikel aus Seide aus den Regalen, einen Stoffrest, ein Kinderkleidchen, eine Ansteckblume, stürzten in eine Umkleide oder einen Aufzug und rieben sich mit dem Stoff ihr Geschlecht, bis sie sich befriedigt hatten. Es gab einige bemerkenswerte Übereinstimmungen. Ganz wesentlich für die Erregung war, dass die Seide durch Diebstahl in ihren Besitz gelangt war. Eine von ihnen hatte als Zuschneiderin so viel Seide zur Verfügung, wie sie nur wollte, konnte aber nur dann mit Seide masturbieren, wenn die Aufregung des Diebstahls vorangegangen war. Die Selbstbefriedigung erfolgte noch im Rausch des Diebstahls. Manche Frauen gönnten sich gerade noch die Zeit, eine stille Ecke im Laden aufzusuchen, aber eine von ihnen hatte sich mitten im Laden befriedigt. Nach dem Orgasmus verloren die Frauen jegliches Interesse an der Seide, sie ließen sie liegen oder warfen sie achtlos hinter eine Tür. Zwei der Frauen stahlen die Seide unter dem Einfluss von Äther. Eine von ihnen trank zunächst etwas Äther, danach Rum, um den Geruch des Äthers zu tarnen, und schließlich Weißwein, um den Geruch des Rums zu vertuschen. Der Äther wirkte enthemmend, die Frauen wurden ausgelassen, hektisch und aggressiv, und wenn der Impuls aufstieg, Seide zu stehlen, konnte dieser nicht mehr unterdrückt werden.
Die vier Frauen waren einmal verheiratet gewesen, lebten nun aber ohne Mann. Keine von ihnen hatte jemals Spaß am ehelichen Sex gehabt. V. B. ekelte sich von Anfang ihrer Ehe an vor den Grimassen und dem Stöhnen ihres Mannes. Lieber wartete sie morgens, bis er zu seiner Arbeit gegangen war, und masturbierte dann. Auch unabhängig von der Selbstbefriedigung ließen die Frauen gern Seide durch ihre Hände gehen, zwei von ihnen kleideten auch als Erwachsene noch immer Puppen an, am liebsten in Seide.
Clerambault fand diese spezifische Präferenz für Seide bemerkenswert. Die Frauen dachten nicht im Entferntesten an andere Stoffe wie Pelz, Samt, Flanell oder Satin. Ihren Ausführungen zufolge lag etwas Erotisierendes in der Berührung von Seide, mehr aber noch im Geräusch. Vor allem das Knistern steifer, roher Seide, die zusammengeknüllt wird, war für die Frauen ein erregendes Geräusch: »Elle crie.« Die sechsundvierzigjährige F., vorgeführt im Oktober 1902, gab offenherzig Bericht. Etwas verkürzt:
Seide zu fühlen ist angenehmer als Seide anzuschauen, aber Seide zu zerknüllen ist noch besser; davon wird man erregt, man fühlt sich feucht werden, dagegen kommt für mich keine andere sexuelle Lust an. Aber der Genuss ist am höchsten, wenn ich zuvor gestohlen habe. Seide stehlen ist herrlich. Seide zu kaufen würde mir niemals denselben Genuss bereiten. Ich stehe der Versuchung machtlos gegenüber, wenn ich Seide sehe, muss ich sie haben. Es hat keinen Sinn, mich dagegen zu wehren. Wenn ich den Stoff in der Hand habe, zerknülle ich ihn, danach erlebe ich einen Genuss, der mir den Atem nimmt. Es ist, als wäre ich betrunken, ich zittere, nicht vor Angst, sondern vor Erregung. Sobald ich den Stoff in Händen habe, setze ich mich breitbeinig hin, um mich zu berühren. So sieht man mich dann. Wenn der Genuss vorüber ist, bin ich erschöpft, meine Atmung ist beschleunigt, meine Arme und Beine sind ganz steif. Seide stehlen ist mein Genuss. Meine Kinder haben vergeblich versucht, mich zu heilen, indem sie mir eine große
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