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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Gesellschaften oder kulturellen Gruppen bestimmt werden. In den Vereinigten Staaten könne dies bedeuten, »dass zum Beispiel Schwarze oder Hopi-Indianer sich von Weißen aus der Mittelklasse unterscheiden, weil sie bei der Lösung von Problemen, die sich mehr auf die linke als auf die rechte Hemisphäre beziehen, weniger erfolgreich sind«. 24
    Diese Vermutung unterzog man einer näheren Prüfung. Neuere demographische Studien hatten bei den Leistungen verschiedener ethnischer Gruppen in psychologischen Tests Unterschiede festgestellt. Bogen und seine Mitautoren konzentrierten sich auf zwei spezifische Tests. Beim Similarities-Test, Teil eines gängigen Intelligenztests, muss die Testperson eine verbale Antwort auf eine verbale Frage nach Übereinstimmungen geben, zum Beispiel zwischen einem Denkmal und einem Gedicht. Der Similarities-Test sollte vor allem den propositionellen Denkstil prüfen. Beim zweiten Test, dem Street-Test, muss die Testperson eine silhouettenartige Gestalt erkennen, bei der Teile weggelassen wurden. Dieser Test sollte einen appositionellen Denkstil erforderlich machen. Die Ergebnisse der beiden Tests ließen sich erneut in einer >Ratio< ausdrücken, der Street/Similarities-Ratio, die der A/P-Ratio einen quantitativen Ausdruck gab. Gekoppelt an die Leistungen verschiedener ethnischer Gruppen, entstand eine Rangordnung (je höher die Position, desto linkshirniger):
    1. weiße Stadtbewohner
    2. weiße Landbewohner
    3. schwarze männliche Stadtbewohner
    4. schwarze weibliche Stadtbewohner
    5. Hopi-Indianer
    Moment! Hier sollten wir ein paar verdutzte Schritte zurück machen. Dies ist genau - und ich meine: ganz genau - die Rangordnung, die Broca und seine Anhänger hundert Jahre zuvor für Asymmetrie gefunden hatten: eine Hierarchie, in der weiße Männer ganz oben standen, primitive Völker unten und Frauen irgendwo in der Mitte. Doch die Interpretation der Rangordnung von Bogen unterscheidet sich radikal von der Brocas. Die Werte, die zur Zeit Brocas mit der linken Hirnhälfte verbunden waren - Vernunft, Beherrschung, Kultur - begann man in den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit einem Denk- und Handlungsstil zu assoziieren, der in der Gesellschaft für viele Probleme verantwortlich war. Wissenschaft und Technologie hatten zu einer drohenden Erschöpfung natürlicher Ressourcen geführt, zu Umweltverschmutzung und einem unbeherrschbaren nuklearen Wettrüsten. Die Entwicklung intellektueller, analytischer Fähigkeiten im Unterricht ging auf Kosten von Kreativität und Intuition. Das lineare, maskuline Denken der linken Hemisphäre stand in gespanntem Verhältnis zum eher weiblichen, wortlosen Wissen der rechten Hemisphäre. Es dauerte nicht lange, da stand die linke Hemisphäre für die industrialisierte und verstädterte Welt, die rechte für einen intuitiven, meditativen Umgang mit Wissen, der im Orient so viel besser erhalten war als im Okzident. Genau wie zu Zeiten Brocas waren die Ergebnisse der neurologischen Forschung also deutlich ideologisch beladen. Aber weil die moralischen Pole Plus und Minus mittlerweile ihren Platz getauscht hatten, stand die Hierarchie plötzlich auf dem Kopf. Jetzt waren es die noch eng mit der Natur verbundenen Hopi-Indianer, die das moralisch höhere rechtshirnige Denken in Ehren gehalten hatten. Auch schwarze Frauen dachten, selbst wenn sie in der Stadt lebten, im Verhältnis mehr mit rechts als schwarze Männer. Ganz unten in der neuen Hierarchie standen die weißen Männer aus der Stadt, mit einer A/P-Ratio, die auf ein bedenkliches Übergewicht der linken Hemisphäre hindeutete.
    Bogens Ergebnisse blieben nicht unwidersprochen. Seine Neu-rologie-Kollegen wiesen darauf hin, dass die Unterschiede in der A/P-Ratio lediglich auf Unterschieden in den Leistungen beim Si-milarities-Test beruhten, denn im Street-Test hätten alle ungefähr gleich gut abgeschnitten. Schlussfolgerungen über den Anteil der rechten Hemisphäre seien also vorschnell. 25 Aber der Beifall überwog. Schon bald gab es mehr Ergebnisse dieser Art. Bei Kindern von Navajo-Indianern sollte das linke Ohr bei Höraufgaben bessere Leistungen zeigen als das rechte Ohr, während dies bei weißen Kindern andersherum sei - ein deutlicher Hinweis für die Rechtshirnigkeit bei Navajo-Indianern (Reize, die dem linken Ohr angeboten werden, gehen zur rechten Hirnhälfte und umgekehrt). EEG-Studien offenbarten, dass die Gehirne von Hopi-Kindern rechts mehr Aktivität verzeichneten, wenn sie

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