Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
heute leicht als anfechtbare Erklärung erkennen, aber was werden spätere Generationen von der gegenwärtig so verbreiteten Theorie denken, autistische Kinder hätten keine theory of mind ? Wird man das nicht irgendwann einmal als herabsetzend und simplizistisch verwerfen, als eine Erklärung, die eher eine spezifische philosophische Mode charakterisiert als die Realität des autistischen Funk-tionierens?
Im sechzehnten Jahrhundert lebte der ebenso geniale wie rätselhafte italienische Physiker, Astrologe und Mathematiker Giro-lamo Cardano. Als Erfinder ist sein Name im Eponym der Kardanringe erhalten: Ein Ring, der frei um seine Achse dreht, hängt selbst in einem zweiten, der frei auf einer Ebene drehen kann, die dazu senkrecht steht. Ein im inneren Ring befestigtes Instrument kann sich dadurch frei in alle Richtungen bewegen. Jeder Wissenschaftler ist in seiner Zeit fixiert, wie ein Kreiselkompass in kar-danischer Aufhängung. Er bedient sich der Methoden, von denen man annimmt, dass sie sich am besten dazu eignen, wählt die Instrumente, die zu diesem Zeitpunkt vorhanden sind, beruft sich auf Argumente, die als gültig akzeptiert werden, und ist abhängig von den unzähligen Konventionen, die er mit seinen Zeitgenossen teilt und die deswegen kaum wahrgenommen werden. Auch wenn er sich gegen die herrschenden Auffassungen stellt und versucht, von den Bewegungen um ihn herum unabhängig zu bleiben, wird er unbemerkt durch die Erkenntnisse seiner Zeit mitgeführt.
ANMERKUNGEN
KEIN DRAAISMA-SYNDROM
1 R.K. Merton, The sociology of Science, Chicago 1973, 298.
2 Eine Auswahl von rund fünfzig neurologischen Eponymen findet sich in P.J. Koehler, G.W. Bruyn & J. M.S. Pearce (Hg.), Neurological Eponyms, Oxford 2000. In meinen Kapiteln über Broca, Korsakow und Jackson habe ich mich durch Beiträge in dieser Sammlung inspirieren lassen. Hilfreich waren auch D. Arenz, Eponyme und Syndrome in der Psychiatrie, Köln 2001, und P. Beighton & G. Beighton, The person behind the syndrome, Berlin 1997.
3 A. Harrington, Medicine, mind, and the double brain, Princeton NJ 1987, 286.
MIT DER DÄMMERUNG KOMMEN DIE BILDER
DAS BONNET-SYNDROM
1 Das Diktat sollte erst anderthalb Jahrhunderte später unter dem Titel »Visions de Monsieur PAnden Syndic Lullin, Seigneur de Confignon« im Druck erscheinen: Th. Flournoy, »Le cas de Charles Bonnet. Hallucinations visuelles chez un vieillard opere de la cataracte«, Archives de Psychologie, 1 (1902),
1-23. Die Zitate stammen aus dieser Veröffentlichung.
2 Lullin, »Visions«, 8.
3 Lullin, »Visions«, 8-9.
4 Lullin, »Visions«, 16.
5 G. Bonnet, Charles Bonnet (1720-1793), Paris 1929. Siehe auch L. Anderson, Charles Bonnet and the order of the known, Dordrecht 1982.
6 Ch. Bonnet, Essai analytique sur les facultes de l’äme, Kopenhagen 1760 (2. Aufl. Neuchätel 1769). Auch als Teil 6 in CEuvres d’histoire naturelle et de philosophie de Charles Bonnet, Neuchätel 1779-1783. Zitate aus dem Essai stammen aus dieser letzten Ausgabe.
7 Bonnet, Essai, 317.
8 Bonnet, Essai, 315-316.
9 Bonnet, Essai, 317.
10 A. Fernandez, G. Lichtshein & W.V.R. Vieweg, »The Charles Bonnet Syndrome: a review«, Journal of Nervous and Mental Disease, 185 (1997), 195- 200 .
11 K. Podoll, M. Osterheider & J. Noth, »Das Charles Bonnet Syndrom«, Fortschritte der Neurologischen Psychiatrie, 57 (1989), 43-60.
12 R. Savioz, Memoires autobiographiques de Charles Bonnet de Geneve, Paris 1948, 40.
13 Bonnet, Memoires autobiographiques, 381.
14 Bonnet, Essai, 316.
15 Bonnet, Essai, 317.
16 Für einen kurzen historischen Abriss siehe G. de Morsier, »Le syndrome de Charles Bonnet: hallucinations visuelles des vieillards sans deficience mentale«, Annales Medico-Psychologiques, 125 (1967), 677-702.
17 E. Naville, »Hallucinations visuelles ä l’etat normal«, Archives de Psychologie,
8 (1909), 1-8 (8).
18 G. de Morsier, »Les automatismes visuels (hallucinations visuelles retro-chias-matiques)«, Schweizerische Medizinische Wochenschrift, 29 (1936), 700-703.
19 De Morsier, »Automatismes«, 701.
20 De Morsier, »Automatismes«, 702.
21 De Morsier, »Syndrome de Charles Bonnet«.
22 W.G. Crane, »Prevalence and characteristics of photopsias and formed visual hallucinations (Charles Bonnet Syndrome) in a low vision population«, Southern Medical Journal, 88 (1995), 71.
23 R.J. Teunisse, Concealed perceptions. An explorative study of the Charles Bonnet syndrome, Nimwegen 1998.
24 W.R. Flynn,
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