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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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einer Geschichte in der Hopisprache zuhörten, als wenn sie dieselbe Geschichte in Englisch hörten. 26 Wieder anderen Forschern zufolge zeigten die Gehirne von Indianern mehr Symmetrie als die von Weißen. Ergebnisse wie diese erschienen in führenden Zeitschriften. Innerhalb von zehn Jahren nach dem Artikel Bogens war das Bild entstanden, Neurologen und Neuropsychologen hätten wissenschaftlich festgestellt, der amerikanische Indianer sei rechtshirnig veranlagt.
    Die Reaktionen in Indianerkreisen waren zurückhaltend. Die Psychologen Peters und Chrisjohn (Letzterer ein Oneida-Indianer aus einem kanadischen Reservat) schrieben in Kenntnis der Geschichte, es sei höchste Vorsicht geboten, wenn »anatomische Beweise« für Unterschiede in Gehirnen von Weißen und Nicht-Weißen gefunden würden. Der Mythos des rechtshirnig orientierten Indianers könne verheerende Konsequenzen für den Unterricht indianischer Kinder haben, 27 denn ein nächster Schritt könne schließlich sein, linkshirnige Teile einfach aus dem Curriculum zu streichen, weil die Hirne von Indianerkindern dafür offensichtlich nicht eingerichtet seien. Am Ende vom Lied heiße es dann, dass
    Indianer aufgrund ihrer neurologischen Beschränkungen manche Dinge nun einmal nicht lernen könnten. Bogen und seine Kollegen hatten vielleicht genauso wenig wie Broca ein politisches Programm. Aber politische Implikationen hatten ihre Befunde sehr wohl, und die lagen bei Broca und Bogen auf derselben Ebene: Unterschiede zwischen Mann und Frau, zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, zwischen gebildeten und ungebildeten Kulturen.
    Die einhundert Jahre Fortschritt in der Methodologie, die zwischen den Siebzigerjahren des neunzehnten und denen des zwanzigsten Jahrhunderts liegen, haben offensichtlich nicht zu dem Unterschied geführt, auf den Gould seine Hoffnung gesetzt hatte. Zwar hat es methodologische Kritik an der Studie Bogens gegeben, doch insgesamt gesehen hat seine methodische Herangehensweise mit geltenden und verlässlichen Tests, verfeinerten statistischen Überprüfungen und Hinweisen zur Faktorenanalyse gerade zu dem Eindruck beigetragen, es handle sich dabei um objektive, wissenschaftlich vollkommen fundierte Resultate. Die Ergebnisse Bogens führten daher nicht zu einer Kollision mit der herrschenden Vorstellung über Gehirne und Unterschiede zwischen Menschen, sondern gaben ihr gerade erst einen exakten, zahlenmäßigen Ausdruck.
    Was hier so ausführlich anhand der neurologischen Hierarchien von Broca und Bogen gezeigt wurde, lässt sich auch für andere Forschungsgebiete belegen. Jenes zweite stolze Dogma Brocas über die großen weißen Hirne und die kleiner bemessenen schwarzen hatte auch im zwanzigsten Jahrhundert noch eine lange Geschichte: Bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Volumenmessungen mit immer neuen Techniken durchgeführt. 28 Vor einigen Jahren zeigte ein Anthropologe, dass die Ergebnisse solcher Messungen je nach den gesellschaftlichen Auffassungen über die Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen variierten. 29 Einer seiner Anthropologen-Kollegen fasste die Gefügigkeit von Fakten folgendermaßen zusammen: »Wir müssen Bewunderung haben für die Ausdehnung asiatischer Schädel, die sich im vergangenen halben Jahrhundert offensichtlich vollzogen hat, während frühere Forscher stets unverändert berichtet hatten, dass die Asiaten über kleinere Hirne verfügten als Weiße. Dies impliziert selbstverständlich die Möglichkeit einer vergleichbaren Schädelvergrößerung bei Schwarzen. Oder, noch wahrscheinlicher, dies impliziert die Möglichkeit, dass Wissenschaftler genau das finden können, was sie erwarten, sobald sozial und politisch nur genug auf dem Spiel steht.« 30
    Zeitlicher Abstand macht es leichter, die unterschiedlichen Überzeugungen und Vorurteile früherer Generationen zu erkennen. Das gilt für Historiker der Gehirnwissenschaften ebenso wie für Hirnforscher. Selbst der für einen Historiker relativ geringe Abstand von dreißig Jahren hilft heutigen Neurologen, Bogens Ergebnisse einzuordnen: Siebzigerjahre, Kalifornien, das Bulletin der Los Angeles Neurological Societies. In dieser Hinsicht ähneln sich die Perspektiven von Historikern und Fachwissenschaftlern mit fortschreitender Zeit. Fehlender zeitlicher Abstand verursacht eine trügerische Art von Transparenz. Die >refrigerator mothen, die nach führenden Wissenschaftlern der Sechzigerjahre für den Autismus ihres Kindes verantwortlich war, lässt sich

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