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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Blumenkästen übersät, und wilder Wein rankt die Fassade empor. Aus einem höheren Stockwerk ist zwischen den Geräuschen der hinter mir vorbeidonnernden Gebraucht-BMWs eine Akustikgitarre zu vernehmen. Und eine brummende Stimme, die verhalten dazu singt.
    Die Haustür ist abgebeizt und steht offen. Im Flur ist es angenehm kühl, die Bodenkacheln sind bemalt, an den Wänden hängen Bilder, und der stumme Concierge, offenbar aus Keramik angefertigt, bietet nur Vornamen an. Es riecht fruchtig und irgendwie frisch, vermischt mit einem kaum wahrnehmbaren Grasaroma, vermutlich ist das hier das einzige Haus in dieser Gegend, in dessen Flur man nicht in Erbsensuppe- oder Knoblauchgestank steht. Melanie wohnt ganz oben, im fünften Stock.
    Die Türschilder sind getöpfert, auch hier gibt es ausschließlich Vornamen zu lesen: Marcel, Sabine, Christoph und Heinz-Walter. Der Gitarrenspieler heißt Marius. Weiß der Geier, wie sich der Postbote hier zurechtfindet. Auf den Absätzen stehen Pflanzen, ab dem zweiten Stock auch Stühle, und im vierten befindet sich ein knallrotes Sofa, auf dem ein Pärchen in meinem Alter sitzt, mir freundlich zunickt und sich dann weiter unterhält. Sie haben Teetassen in den Händen. Schwer vorstellbar, dass hier jemand wohnt, der Pornofotos macht.
    Auch ihre Tür steht offen, durch den Spalt ist Musik zu hören, irgendwas Akustisches, das mir bekannt vorkommt. Ich hebe die Hand, um zu klopfen, lasse sie aber gleich wieder herabsinken. Jetzt ist mir doch noch das Herz in die Hose gerutscht. Mein Hals ist ausgetrocknet, ich muss husten.
    »Mensch, das hat aber gedauert«, ruft Melanie. »Kommen Sie rein, das Bad ist gleich links. Ich brauche noch einen Moment.«
    Mir wird schwarz vor Augen, keine Ahnung, was mein Hormonhaushalt in diesem Moment anstellt, aber meine Beine knicken weg. Als ich etwas später vor der Tür kniend aufblicke und sich mein Blick wieder scharfstellt, steht sie da.
    »Warum …«, beginnt sie, dann reißt sie die rechte Hand hoch und hält sie sich vor den Mund. Ihre linke greift zum Türrahmen.
Plötzlich ist alles wieder da, als wäre es nie fortgewesen, sondern immer nur verborgen, hinter etwas anderem. Langsam kniet sie sich vor mich hin, nimmt meine Hand und sagt: »Du bist es. Großer Gott, du bist es.«
»Störe ich?«, fragt jemand hinter mir.
Melanie lacht, ein befreites, glockenhelles Lachen. Es ist kaum zu begreifen, wie schön es ist, das zu hören.
»Sie sind der Klempner«, sagt sie, immer noch lachend. Ihre Hand hält nach wie vor meine fest, und wir knien weiterhin voreinander.
»Ich kann auch später wiederkommen«, sagt der Mann.
»Nein, nein, das Bad ist gleich links.« Sie steht auf, zieht mich mit sich in die Wohnung hinein. Es duftet nach frischem Kaffee und Schnittblumen, die geräumige, helle Diele zieren Porträtfotos, einige davon erkenne ich sofort. Sie hingen damals in ihrem Zimmer, in einem anderen Leben.
»Hier«, sagt sie strahlend, ohne den Blick von mir abzuwenden, ihre Wangen sind feucht, und sie zeigt auf eine Tür. »Ich ertrinke. Tun Sie was, bitte.«
Der Klempner stößt die Tür auf, der Boden steht unter Wasser. »Wird schon«, sagt er lächelnd und knallt seinen Werkzeugkoffer auf die Kacheln. »Kümmern Sie sich nicht um mich.«
»Kaffee?«, fragt Melanie.
»Ja«, sagen der Klempner und ich gleichzeitig.
Sie zieht mich in die Küche, einen freundlichen, hellen Raum mit Holzmöbeln und einem gewaltigen Blumenstrauß auf dem Tisch. Auf der Fensterbank liegt eine dreifarbige, struppige Katze.
»Das ist Brad, mein Kater«, erklärt sie. »Weißt du? Brad und Janet. Aus Rocky Horror.« Jetzt treten ihr Tränen in die Augen.
Ich kann nur nicken und trocken schlucken. Noch immer hält sie meine Hand.
»Lauf nicht weg«, sagt sie eindringlich, schenkt zwei Töpfe Kaffee ein und bringt einen davon ins Bad. Ich nehme mir die andere Tasse, setze mich neben Brad an den Küchentisch und habe das Gefühl, mich in einem Traum zu befinden. Dann kommt sie zurück, steht eine Weile in der Tür und sieht mich an.
»Du hast dich kaum verändert«, erklärt sie.
»Du dich auch nicht.« Das Feenhafte umstrahlt sie wie damals, als ich mit Götterspeisebeinen vor dem Zoo-Palast stand und von ihr geküsst wurde.
»Darf ich …« Sie hält inne.
»Alles.«
»Ich würde dich gerne küssen.«
Sie muss meine Gedanken erraten haben.
»Ich dich auch.«
    Der Klempner hat die Tür leise hinter sich zugezogen, das Bad ist wieder trocken, als wir Stunden später

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