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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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darauf an, wartete einfach ab, bis er gegangen war.
Ich genoss es, in den ockergelben Doppeldeckern nach oben zu rasen, mich in die vorderste Reihe zu schmeißen und meine Füße direkt unter dem riesigen Doppelfenster auf die Haltestange zu legen. So große (und laute und volle ) Busse hatten wir in Hannover nicht gehabt, aber ich war dort sowieso so gut wie nie mit dem Bus gefahren; unsere Grundschule hatte ich in wenigen Minuten zu Fuß erreichen können.
Trotz der Monatskarten gingen Kuhle und ich fast immer zu Fuß nach Hause. Nur bei Regen nicht. Kuhle mochte keinen Regen.
Auf diesen Wegen redeten wir über alles Mögliche, auch über sehr private Dinge, wobei Kuhle dramatisch mehr zu erzählen hatte als ich. Er war der zweite Mensch, dem ich die Sache mit dem Markstück gestand, die mich zwar nicht mehr beschäftigte, die aber als Schuld aus der Vergangenheit nach wie vor in meinem Kopf herumgeisterte. Er schüttelte sich vor Lachen, als ich ihm das erzählte. Es war das erste Mal, dass mich jemand »naiv« nannte, ein Wort, das ich wieder im Brockhaus nachschlagen musste, wie einiges von dem, was mir der dicke, freundliche Micha offenbarte. Immerhin konnte ich ihn mit dem Unfalltod meiner Eltern beeindrucken.
»Manometer«, sagte Kuhle und legte mir kurz den Arm um die Hüfte. »Manometer«, wiederholte er, während ich erstarrt neben ihm herging. Körperliche Nähe war schon innerhalb der Familie selten, aber mit Außenstehenden war sie mir völlig fremd.
Irgendwann fragte er mich, ob ich schon wichsen würde.
»Wen denn?«, fragte ich zurück. Das Wort hatte ich ein, zwei Mal von Ute gehört, wenn sie über einen von uns dreien so ärgerlich wurde, dass sie kurz davorstand zuzuschlagen – etwas, das sie wirklich nie tat und auch Jens nicht. »Du kriegst gleich eine gewichst!«, hatte sie gerufen, mit vor Wut leicht verzerrtem Gesicht.
Kuhle bekam einen Lachanfall.
»Natürlich dich selbst, du Hornochse«, sagte er lachend.
»Mich selbst?«, Ich war konsterniert. Wozu sollte ich mich selbst schlagen? Kuhle, der wie ich zu den Ältesten in unserer Klasse gehörte, versuchte, es mir zu erklären.
»Hattest du schon mal einen Steifen?«
»Einen steifen?« Ich rätselte nach dem Substantiv zum Adjektiv, kam aber auf keine Lösung.
»Einen steifen Penis .« Er sprach das Wort halblaut. »Ein steifes Glied. Einen steifen Schwanz.« Alle drei Sätze endeten leiser, als sie angefangen hatten.
Ja, das hatte ich. Zwei oder drei Mal in diesem Sommer war ich mit geschwollenem Pimmel aufgewacht. Das hatte mich einigermaßen beunruhigt, aber nach kurzer Zeit war die Schwellung verschwunden, ohne dass ich etwas dafür hatte tun müssen.
Natürlich hielt ich das für eine Krankheit, und ich hoffte sehr, dass es eine vorübergehende wäre, eine, die so vorübergehend war, dass man nicht mit Jens oder Ute darüber reden musste. Wie mein Husten, den ich seit zwei Jahren alle drei Monate hatte, der bei mir Keuchanfälle verursachte, aber nach ein paar Tagen wieder von selbst verschwand.
An diesem Nachmittag kam ich viel zu spät nach Hause, was mir eine Rüge von Ute einbrachte, zumal ich so aufgeregt war, dass mir keine Ausrede einfiel. »Wir haben gebummelt«, nuschelte ich. Nach dem Essen schloss ich mich im Bad ein und probierte aus, was Kuhle mir haarklein erklärt hatte.
Es war das Allergrößte auf der Welt, obwohl eine Stimme, die der von Jens nicht unähnlich war, in meinem Hinterkopf die ganze Zeit über »Das ist illegal« wisperte.
Es war eklig und zugleich befreiend. Es war beängstigend und zugleich machtvoll. Es kam mir natürlich vor und gleichzeitig befremdlich. Und es fühlte sich unglaublich gut an. Ich tat es gleich dreimal nacheinander. Ich warf das vollgeschleimte Toilettenpapier ins Klo und spülte viermal, um meine Spuren zu verwischen.
»Bist du krank? Hast du Durchfall?«, fragte Ute, die bereits vor dem Bad gewartet hatte. Ich schüttelte das gesenkte Haupt, war mir sicher, man würde mir ansehen, was ich gerade Schmutziges – das musste es sein, schmutzig und ill-egal , schließlich sprach niemand darüber – getan hatte, aber Ute drückte sich nur an mir vorbei.
Ich war sehr gut in Deutsch, Mathe und Englisch und eine Null in Geschichte, Erdkunde und Sport. Wir hatten außerdem noch Physik, Chemie, Biologie und Französisch, was für meine Mitschüler ebenso neu war wie für mich, aber mein Rückstand in Geschichte und Erdkunde hatte eine problematische Seite. Die Noten, die wir nach dem ersten

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