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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Gründen nicht mehr abwenden.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie dann, weiterhin lächelnd, und klopfte mit der Fingerspitze auf die aufgeschlagene Seite des roten Geschichtsbuches. Sabrina ignorierte meine – allerdings auch etwas halbherzigen – Versuche, mit ihr über etwas abseits der Nachhilfethemen zu reden; ich selbst verstand ehrlich gesagt überhaupt nicht, warum ich diese Versuche unternahm. Meine diesbezügliche Erfolglosigkeit enttäuschte Kuhle, der mich regelmäßig über Sabrina befragte.
    »Was interessiert dich so sehr an ihr?«, fragte ich.
»Sie ist das schönste Mädchen der Schule«, sagte er. »Wie willst du das wissen?«
»So was weiß man.«
Mädchen stellten zu diesem Zeitpunkt eine fremde Welt für
    mich dar. Ich hatte außerhalb der Klasse keinen Kontakt mit ihnen und auch kein Interesse daran, tatsächlich fürchtete ich mich ein wenig vor ihnen, da ich nichts von dem verstand, was sie taten oder sprachen. Es machte mich stutzig, dass mich Kuhle auf diese Art befragte. Davon abgesehen war Sabrina auch noch ein älteres Mädchen. Anders als an der Grundschule, wo all diese Dinge überhaupt keine Rolle gespielt hatten, besaß das Alter insbesondere der Jungs hier große Bedeutung. Die Mädchen sprachen in den Pausen, wenn überhaupt, nur mit älteren Jungs. Die älteren Jungs sprachen so gut wie niemals mit jüngeren. Als männlicher Schüler der untersten Klassenstufe verfügte man über ein sehr eingeschränktes Bezugsfeld, das sich letztlich in den männlichen Mitschülern der gleichen Jahrgangsstufe erschöpfte.
    Mein Hobby blieb bis zum Ende des Probehalbjahrs ein vollkommen technischer Vorgang. In meinem Kopf tat sich quasi überhaupt nichts, während ich wie ein Indianer, der mit zwei Stöcken Feuer zu machen versucht, rubbelte, um nach selten mehr als einer Viertelminute weißen Schleim abzusondern, was mich in einen Zustand der Zufriedenheit versetzte, der mit nichts, was ich kannte, irgendwie vergleichbar war. Gleichzeitig löste es Schuldgefühle aus, zuweilen auch Panik, wenn ein Pflegefamilienmitglied vor der Klotür stand und einfach ahnen musste , was ich während meiner sich häufenden Sitzungen tat.
    Eines Abends tat ich es im Bett. Das geschah so gut wie nie, weil sich der Takt meiner Bewegungen sofort auf das Gestell der nicht besonders soliden Doppelstockschlafstätte übertrug. Als ich es einmal probierte, fragte Mark von unten leise: »Tim, was machst du da oben?«
    Ich erstarrte und begann damit, so zu tun, als würde ich schnarchen. Es klang ein bisschen wie Husten.
»Papa, was ist Schüttelfrost?«, fragte Mark am nächsten Morgen am Frühstückstisch, wobei er mir einen Blick zuwarf, den ich nicht einordnen konnte.
An diesem Abend aber war ich allein. Mark und Ute waren nach Hannover gefahren, um Verwandte zu besuchen, Frank hockte in seinem Kabuff und hörte Radio, er hatte kurz zuvor einen RadioKassettenrecorder geschenkt bekommen, um den ich ihn fürchterlich beneidete. Jens saß im Wohnzimmer und schaute »Derrick«.
Ich war sicher, also tat ich es. In meiner linken Hand knüllte ich ein Tempotaschentuch, mit dem ich anschließend die Spuren beseitigen wollte. Ich würde es bis zum Aufstehen in der Hand behalten, am Morgen ins Bad schmuggeln, ins Klo werfen und drei oder vier Mal nachspülen.
Erst war alles ganz normal, während der ersten zwanzig Sekunden, und ich spürte bereits, dass es nicht mehr lange dauern würde. Und dann sah ich plötzlich Sabrina vor mir, ihr Gesicht, ihre nackten Unterarme, die leichten Wölbungen unter dem T-Shirt, deren Bedeutung mir technisch durchaus bewusst war; in Biologie stand nämlich gerade Sexualkunde auf dem Programm.
Etwas veränderte sich. Der Ablauf hatte eine neue Qualität, eine bessere. Ich verstand nicht, was genau geschehen war, bekam aber erstens eine Ahnung davon, warum mich Kuhle über Sabrina auszufragen versuchte. Und zweitens bemerkte ich, dass ich an sie dachte, obwohl ich mein Ejakulat längst in das geknüllte Tempo gewischt hatte. Auf eine andere Art, als ich das bisher getan hatte.
Leider hatte ich das Probehalbjahr zu diesem Zeitpunkt bereits hinter mich gebracht. Die Nachhilfestunden waren obsolet geworden; mein Rückstand war zwar noch nicht völlig ausgeglichen, aber auf ein handhabbares Maß eingeschmolzen, den Rest würde ich allein bewältigen. Ich sah Sabrina nur noch auf dem Schulhof, wo sie meinen zaghaften Gruß zwar erwiderte, mir aber keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Tatsächlich

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