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Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd
Autoren: Jo Clayton
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allzu viele Lektionen in der Notwendigkeit lernen müssen, still zu sein, meine Gefühle vor allen anderen verborgen zu halten … jedoch hatte ich noch nie zuvor etwas wirklich geliebt, nie zuvor etwas besessen, das nur mir allein gehörte. Das Tiktik hatte mir gehört, und jetzt war es tot - das war alles, was ich wußte.
    Meine Stiefmutter hörte den Aufruhr und kam. Sie war eine stille Frau, eine ziemlich nette Frau, das weiß ich heute, obgleich ich sie damals haßte und fürchtete. Sie hatte meinem Vater bereits jenen Sohn geschenkt, den ihm meine eigene Mutter selbst in der Gewißheit ihres Todes noch zu gebären versucht hatte. Zu dieser Zeit war sie erneut schwanger - dieses Mal (ehelich) mit meinem zweiten Halbbruder, und sie mußte seinetwegen sehr leiden. Sie hätte ihr Elend dadurch zu mindern versuchen können, indem sie es an ihre Umgebung weitergab, jedoch tat sie dies nicht. Meine Schwestern und ich, wir alle, wußten, daß wir hier nur auf Duldung lebten, wertlos, ungewollt. Man sollte meinen, wir hätten uns zusammengetan und gegen unseren Vater und das System, das uns zur Wertlosigkeit erniedrigte, gemeinsame Sache gemacht, aber dies geschah nicht.
    Meine Stiefmutter fand sehr leicht heraus, wie das Tiktik in die Burg gekommen war. Die Diener brachten Metis ins Kinderzimmer.
    Die Stiefmutter schickte meine Schwestern fort, wobei ihr eisblauer Blick deren Proteste zum Verstummen brachte, doch mich behielt sie da - ich mußte zusehen. Auf ihre strenge Art war sie freundlich. Sie lehrte mich, wo mein Platz war, und zugleich schützte sie Metis und mich. Irgend etwas mußte getan werden, etwas ziemlich Drastisches, sonst würde die Kunde von dieser Eskapade möglicherweise meinen Vater erreichen. Metis hätte mit dem Spansir blutig gepeitscht, hätte dafür getötet werden können, daß sie die Tochter eines Tej in Gefahr gebracht hatte… selbst eine wertlose Tochter war mehr wert als das Kind eines Kontrakt-Arbeiters; so nannte mein Vater sie immer, obschon andere Tej in ihren Äußerungen nicht so feinfühlig waren.
    Meine Stiefmutter zwang mich, vor ihr zu stehen. Ihre langen, schlanken Finger lagen fest auf meinen Schultern. Metis wurde an die Wand geschubst; ihre Bluse wurde heruntergerissen. Ein Diener wurde instruiert und bekam den Clisor ausgehändigt. Ihr Hals und ihre Schultern waren starr aufrecht gehalten. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Ich wollte es nicht sehen. Meine Stiefmutter hielt mich fest gegen ihre Beine gedrückt und sagte: „Mädchen, du hast ein Tier aus der Wildnis in dieses Heim gebracht. Dein Leben wäre verwirkt, würde ich denken, du hättest dies in böser Absicht getan, doch ich glaube, es war nur Gedankenlosigkeit, ein törichter Versuch, deinen Schützling zu unterhalten. Du wirst fünfzehn Streiche mit dem Clisor erhalten und für eine Woche in Ungnade zu deiner Familie zurückgeschickt werden. Wenn diese Zeit vergangen ist, meldest du dich am rückwärtigen Tor, um deine Pflichten hier wieder aufzunehmen. Hast du verstanden, was ich gesagt habe?”
    Und die Hände meiner Stiefmutter preßten sich jetzt so fest auf meine Schultern, daß sie schmerzten, und ich litt und wartete auf die Antwort meiner Freundin, denn es kam mir so vor, als könne Metis im Raum eines nicht ausgesprochenen Wortes für alle Zeiten verlorengehen. Scheinbar eine Ewigkeit lang blieben Metis’ Rücken und Schultern starr gerade, dann seufzte sie und sagte: „Ja, Taejin, ich habe verstanden.”
    Obgleich etwas von dem Eis in mir schmolz, stand mir noch immer genügend Schlimmes bevor. Meine Stiefmutter hielt mich fest, wollte mir nicht erlauben, daß ich mich abwandte. Ich glaube, ich spürte jeden einzelnen Schlag dieser Peitsche auf meinem Körper.
    Der Clisor. Seine fünf breiten, weichen Lederstreifen taten weh, doch sie rissen die Haut nicht auf. Abermals war meine Mutter auf ihre Art und Weise nett. Der Spansir hatte ebenfalls fünf Riemen, jedoch waren diese geflochten, um kleine Sporen herum verknotet, und an den Enden saßen Metallstacheln. Fünfzehn Streiche mit dem Spansir hätten meine Freundin getötet.
    Während der ersten paar Hiebe blieb Metis hartnäckig still, aber schließlich schrie sie, als das Leder immer wieder auf dieselbe Stelle schlug. Mein Körper zuckte mit dem ihren. Ich versuchte mich abzuwenden und mein Gesicht im Rock meiner Mutter zu vergraben, meine Tränen mit den Fäusten aufzuhalten, doch sie gestattete es nicht, sie zwang mich zuzusehen. Ich lernte
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