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Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd
Autoren: Jo Clayton
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eine Menge mehr als nur die. einfache Lektion des Gehorsams, die sie mich zu lehren beabsichtigte. Auf eine Art und Weise, die ich niemals mehr vergessen habe, lernte ich, daß eine einzige gedankenlose Tat schreckliche Folgen haben konnte und daß es - so schlimm es auch sein mag, selbst eine Bestrafung zu ertragen - unendlich schrecklicher ist, der unachtsame Grund für das Leiden einer Person zu sein, die man liebt.
    Die Diener führten Metis davon und brachten sie nach unten.
    Meine Stiefmutter wies mich an, ins Kinderzimmer zurückzukehren und dort zu bleiben. Heute kann ich sie besser verstehen, obgleich verstehen nicht vergeben heißt. Ich will nicht davon sprechen, meiner Stiefmutter zu vergeben, sie verdient Besseres als das, aber das System, welches sie derart zu handeln gezwungen hat - diesem System kann ich weder vergeben, noch kann ich es ignorieren.
    Metis kehrte zurück, und das Leben nahm seinen gewohnten Gang. Während meiner Unterrichtsstunden saß sie neben mir, und sie lernte dabei mehr als ich. Sie konnte bereits lesen und schreiben, ihr Vater hatte es sie gelehrt, und ihr Verstand war schnell und wendig. Sie hatte einen schrecklichen Hunger nach Wissen, mehr als ich je hatte oder haben werde. Die ersten Bücher, die ich mir auf leisen Sohlen aus der Bibliothek meines Vaters „entlieh”, holte ich für sie und bald darauf auch für mich - so groß war ihr Einfluß. Keine von uns beiden fand sonderlich viel Interesse an jenen Dingen, die weibliche Personen lernen durften.
    Als ich sechs und Metis elf war, zogen wir aus dem Kinderzimmer ins Turmzimmer. Meine Stiefmutter brachte dies für uns zustande, es machte die Kinderstube um so vieles friedlicher. Selas, ihr jüngster Sohn, kränkelte, und Metis und ich waren Zentren von häufig lautem Wirbel. Es war besser, wenn wir allein waren, leichter für sie, wenn wir fort waren.
    Abgesehen von meinem Äußeren hatte ich noch eine Menge mehr mit dem Tiktik gemeinsam. Auch ich steckte meine lange Nase überall hinein. Viele Nächte lang konnte ich nicht schlafen und geisterte durch die Korridore. Wie ich bereits erwähnt habe, fand ich den Weg zur Bibliothek meines Vaters und verbrachte endlose Stunden damit, sie durchzusehen. Ich entdeckte sogar einen Weg in die Wände hinein. Jene Wände, die so massiv aussahen, waren trügerisch und durchsetzt mit Gängen, welche wohl von einem oder mehreren meiner Vorfahren in das Gestein gebohrt wurden. Sie führten überallhin, und es gab eine Menge Gucklöcher. Ich liebte die dunkle Stille zwischen den Mauern und verbrachte dort so viel Zeit, wie ich nur konnte, obschon Metis dies nicht gerne sah und befürchtete, ich könnte mich verirren und verhungern. Ich spürte alle Ausgänge auf und prägte mir das Labyrinth ein. Ich glaube nicht, daß mein Vater von den Gängen wußte. Jedenfalls hat er diesbezüglich niemals auch nur den winzigsten Verdacht aufkommen lassen.
    Ich habe die Leute gerne beobachtet, wenn sie nicht wußten, daß sie beobachtet wurden. Es war eine Art Macht, und es schenkte mir tiefe Befriedigung. Ich war bei meinen Erkundungen sehr vorsichtig, da ich meine Lektion äußerst gründlich gelernt hatte. Ich durfte auf Kosten meiner Freundin keine Risiken mehr eingehen, denn gewiß wäre sie für meinen Unfug verantwortlich gemacht worden. Aus demselben Grund wurde ich ein vorbildliches kleines Mädchen, bescheiden und ruhig, fleißig und gehorsam. Ich wollte nicht, daß jemand auf die Idee kam, Metis sei ein schlechter Umgang für mich.
    Eigentlich war vorgesehen gewesen, sie nach Hause zu schicken, sobald ich mein achtes Lebensjahr erreichte, da nunmehr mit meiner ernsthaften Ausbildung begonnen werden sollte - nicht mit Büchern
    . .. sondern mit praktischen Lehrstücken über die Kunst, einem Mann zu gefallen und jedem beliebigen Ehemann, den mein Vater für mich auswählen würde, ein Heim zu führen. Da mein Vater keine diesbezügliche Äußerung tat, blieb sie. Ich schätzte diese Lektionen wenig, doch hatte ich meinen Anteil Eitelkeit, mehr als meinen Anteil, pflegte Metis zu sagen. Ich habe einen guten Knochenbau. Ich bin nicht hübsch, aber ich mag mein Gesicht. Ich kann elegant sein. Ich mag es, wenn meine Haut glatt und sauber ist. Ich mag das Gefühl von Seide, die über nackte Haut gleitet. Ich mag die Goldketten, welche auf die Zartheit meiner Handgelenke und Fesseln aufmerksam machen. Und ich habe gerne Haare, die gleich einem nachtschwarzen Wasserfall und so lang sind, daß ich
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