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Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd
Autoren: Jo Clayton
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noch immer hatte sie sich nicht daran gewöhnt, allein zu schlafen.
    Während des vergangenen Monats hat Vater Abend für Abend darauf bestanden, daß ich herunterkomme und mit der Familie speise.
    Ich weiß, warum er dies macht - er will sichergehen, daß ich bei guter Gesundheit bin, will sichergehen, daß ich mich wahrhaftig unterwürfig benehme. Irgendwo hat er den Gedanken aufgegriffen, ich sei seltsam geworden, da ich in meinem Turmzimmer so einsam lebte, ein wenig zurückgeblieben. Und damit gibt er sich zufrieden.
    Obwohl er mich nach wie vor herunterrufen läßt, ignoriert er mich und verbringt viel Zeit damit, meinen Brüdern Vorträge darüber zu halten, wie sie sich während seiner Abwesenheit aufzuführen hätten, und sie zu prüfen. Ich lerne eine Menge, das ich an Acthon und Gyoll weitergeben kann, und somit ist es die Langeweile und die Magenschmerzen wert.
    Bei Tisch hat mein Vater nunmehr endlich das Datum unserer Abreise bestätigt; anschließend verbrachte er einen Großteil der Mahlzeit damit, Ekeser nach der Handhabung einer jeden nur möglichen Schwierigkeit zu befragen, die während seiner Abwesenheit auftauchen konnte. Selas ignorierte er. Dieser war ohnehin in einer Traumwelt unterwegs, wo er die meiste Zeit verbrachte. Körperlich schwach, geistig schwach - obgleich ich mir über letzteres gar nicht so sicher bin, es ist schwer zu sagen, er hat selten geredet, doch ich habe bemerkt, wie er Ekesers Boshaftigkeit von Mal zu Mal parierte, ohne ein Wort zu sprechen, einfach dadurch, daß er gar nicht zu bemerken schien, was ihm angetan wurde. Ich staune über ihn, sooft ich an ihn denke, aber das geschieht nicht häufig, er entzieht sich mir so leicht wie den anderen.
    Sie folgte dem Geschehen vor ihr bei Tisch mit wenig Interesse; das meiste dessen, was sie hörte, hatte sie bereits früher gehört und weitergegeben. Ihr erstes Erstaunen darüber, daß ihr Vater seine Söhne beinahe genauso sehr verachtete wie seine Töchter, obgleich er sie höher schätzte, lag bereits weit zurück. Bei Acthon war das etwas anderes: Ihn verachtete er nicht. Manchmal glaubte sie, er könnte Sitte und Gesetz die Stirn bieten - schließlich verkörperte er im Liros-System das höchste Gesetz - und Acthon anerkennen, ihn zu seinem Erben machen, doch vor kurzem hatte sie begriffen, daß ihm das nicht möglich war. Er glaubte an Tradition und Gesetz; ganz gleich, wie weit er in seinem Privatleben über die entsprechenden Grenzen hinausschweifte, in Angelegenheiten, welche die Regierung des Liros-Systems betrafen, hielt er sich streng an das Beispiel seiner Vorfahren. Die gesetzmäßigen Richtlinien mußten gewahrt werden, die Macht mußte in den Händen seiner Familie verbleiben, die Familienbande hatten intakt zu sein, das Geschlecht der Kaiyen garantierte das Fortbestehen.
    Der Miene auf Ekesers Gesicht zufolge würde ich sagen, er hat diese Fragenfolge nicht erst beim Abendessen, sondern auch schon zu anderen Zeiten gehört. Er ist jetzt 15 und wird immer störrischer, besonders, da ihn Vater hier nicht jenen Gewohnheiten nachgehen lassen will, die er auf seinen Reisen zu den anderen Aghir-Welten angenommen hat.
    Während der Mahlzeit ignorierte mich Vater wie gewöhnlich.
    Nach dem Abendessen kam er dann jedoch in mein Zimmer. Er kommt fast nie hier herauf, deshalb war ich überrascht. Meine Kehle zog sich zusammen, und ich fühlte mich wie erstarrt. Glücklicherweise setzte ich gerade die letzten paar Stiche in das äußere Gewand meines Hochzeitsprunkes. Wäre er nur einige wenige Minuten später gekommen, hätte ich dieses Buch in den Händen gehalten. Das allein beherrschte meine Gedanken, während er mich betrachtete.
    Er sprach, und ich antwortete, ich weiß nicht mehr was, aber da er keinen Kommentar abgab, nehme ich an, es war passend. Dummkopf, Dummkopf, schimpfte ich mich immerund immer wieder.
    Du siehst wie eine verängstigte Ratte aus, sagte er. Mit mürrischem Gesicht umrundete er mich, während ich dastand und das Kleid an meine Brüste drückte und seine schlechte Stimmung nicht verstand. Dein Aussehen ist gut genug, sagte er. Und er legte seine Hand unter mein Kinn und hob meinen Kopf, ohne mein unfreiwilliges Zusammenzucken zu beachten. Ich hasse es, wenn er mich berührt, doch was kann ich schon dagegen machen? Mager, sagte er.
    Kein Temperament, sagte er. Und er nahm seine Hand weg und trat zurück. Auch gut, sagte er. So wirst du dies alles besser durchstehen.
    Ich habe eine recht gute
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