Gejagte der Nacht
…
Es war zu schade, dass sie nicht imstande war, die Zeit anzuhalten. Sie konnte sich nichts Besseres vorstellen, als den Rest der Ewigkeit allein mit Caine in diesem abgelegenen Blockhaus zu verbringen.
Nachdem sie sich ein paar Augenblicke gegönnt hatte, um in diesem seltenen Glücksgefühl zu schwelgen, zwang Kassie schließlich ihren lethargischen Körper, aus dem Bett zu steigen und zu duschen. Sie war tatsächlich hungrig. Und außerdem wollte sie keine einzige Minute ohne Caine verbringen.
Sobald sie geduscht hatte, trocknete sie sich vor dem Fenster ab, von dem aus sie einen guten Blick auf den Teich hatte. Die Sonne schimmerte auf dem Wasser, und die Wildblumen tanzten in der leichten Brise. Es war die perfekte Aufforderung zu einem Picknick, entschied sie.
Mit einem Lächeln der Vorfreude zog Kassie eine Khakihose, ein weißes Hemd mit U-Ausschnitt und Turnschuhe an und band ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Als sie gesellschaftsfähig war, ging sie zur Treppe.
Nur noch einen Schritt von der Tür entfernt kam sie jedoch wankend zum Stehen und hielt sich nur mühsam im Gleichgewicht, als eine Vision sie mit schockierender Wucht durchzuckte.
Sie fauchte erschrocken.
Normalerweise durchströmten sie die Visionen, indem sie als schwebende Hieroglyphen erschienen, die sie später entschlüsseln konnte. Manchmal verstand sie sie, manchmal nicht. Aber nur selten sah sie ihre Voraussagen gewissermaßen live und in Farbe vor sich, während sie sich in ihren Geist einbrannten.
Sie presste ihre Handflächen gegen ihre schmerzenden Schläfen und beobachtete verwirrt, wie ein Bild von ihr selbst in den Brennpunkt rückte. Sie stand allein in weißen Nebel gehüllt, der so dicht war, dass sie nicht hindurchsehen konnte. Sie spürte, dass in dem Nebel irgendetwas lauerte. Etwas so Mächtiges, dass allein seine Präsenz ihr die Haut abzog.
O Gott. Kassandra wimmerte vor Schmerzen. Sie wollte sich zu einer winzigen Kugel zusammenrollen und beten, dass das lauernde Ding sie nicht bemerkte. Aber das konnte sie nicht tun. Caines Duft erfüllte die Luft, und sie wusste, sie musste zu ihm gelangen.
Er befand sich in Schwierigkeiten.
In schlimmen Schwierigkeiten.
Und dann, wie aufs Stichwort, teilte sich der Nebel langsam.
Sie schrie vor Entsetzen auf, als sie Caine erblickte. Bitte, heilige Jungfrau Maria, nein!
Er lag im Nebel, und sein Körper war verdreht und deformiert, als sei er mitten in seiner Verwandlung überrascht worden, gefangen im Übergang zwischen Mensch und Wolf. Impulsiv ging sie auf ihn zu, blieb aber stehen, als er warnend die Fänge bleckte.
Erst da bemerkte sie, dass die saphirblauen Augen von einem wilden Wahnsinn erfüllt waren.
Er erkannte sie nicht.
Dieser Gedanke war ihr gerade durch den Kopf geschossen, als er sich auch schon ungeschickt aufrappelte und sein wildes Heulen durch den unheimlichen Nebel hallte. Verängstigt wich Kassie zurück.
Dies war jedoch genau die falsche Reaktion.
Caine, der sich in den wilden Instinkten seines Wolfes verloren hatte, verfolgte ihre Bewegungen mit der List eines Raubtieres. In diesem Augenblick war sie seine Beute.
Und er bereitete sich darauf vor, sie anzugreifen.
Kassandra hatte keine Angst um sich selbst. Sie war schon immer davon ausgegangen, dass sie einen frühen Tod finden würde. Schließlich war sie die einzige bekannte Prophetin. Das meistbegehrte und meistgefürchtete Wesen der Welt.
Nein. Sie hatte sich schon seit Jahren darauf vorbereitet zu sterben. Aber wenn Caine wieder zur Besinnung kam und bemerkte, was er getan hatte …
Eine herzzerreißende Angst umklammerte ihr Herz. Er würde sich das nie im Leben selbst vergeben.
Oder schlimmer: Was, wenn er in diesem furchtbaren Zustand zwischen Wolf und Mensch eingeschlossen blieb? Was, wenn er bis in alle Ewigkeit als Monster gefangen war?
Als spüre er ihre Angst, duckte sich Caine wie zum Angriff. Ohne Zweifel fand er den Geruch ihrer Panik aufregend. Aber als sie sich gerade auf die Wucht des zu erwartenden Zusammenstoßes vorbereiten wollte, löste sich die Vision so abrupt in Luft auf, wie sie gekommen war.
Kassie taumelte und fiel auf die Knie, den Kopf gesenkt vor Entsetzen über die Dinge, die sie soeben erblickt hatte.
O Götter, sie musste das verhindern.
Aber wie?
Sie wusste nicht, wo sie sich aufgehalten hatten oder wie sie gefangen genommen worden waren oder auch nur, was das Böse gewesen war, das direkt außer Sichtweite gelauert hatte.
»Denk
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