Gekapert
betrachtet ihn erneut und steckt ihn dann ein. Sie bewegt sich auf ihrem Stuhl, als denke sie darüber nach, auch den linken Ohrring herauszunehmen, überlegt es sich aber anders.
Ausführlich unterhalten sie sich über die Zeit nach ihrer Rückkehr nach Mogadischu, in der sie sich erst einmal an das unbequeme Körperzelt gewöhnen mußte, das sie zuvor hier nie getragen hatte.
»Wie fühlt es sich an, ganz verhüllt zu sein?« fragt Jeebleh.
»Ich vermisse Toronto dann sehr«, sagt sie.
Er spürt, daß sie mit sich zufrieden ist, wie sie selbstbewußt mit untergezogenen Beinen dasitzt. Sein Blick wandert von den Beinen über ihren straffen Körper. Er will gar nicht wissen, wie sie und Bile mit dem Thema körperliche Liebe umgehen, Bile krank und sie mehr als zwanzig Jahre jünger. Vielleicht planen die beiden auch langfristig, wie dies Lebenspartner tun, im sicheren Wissen, daß es ein Morgen und ein Übermorgen gibt, so wie seine Frau und er die Sache seit ihren Wechseljahren angehen. Das ist der Luxus des Alters. Jeebleh kennt Paare mit großem Altersunterschied, die Probleme haben, Themen zu finden, die beide Partner interessieren. Bile und Cambara scheint der Gesprächsstoff nie auszugehen. Aber wird Cambara bei Bile bleiben, wenn sein Körper mit fortschreitender Krankheit schwächer wird? Jeebleh selbst hat viel in die Beziehung mit seiner Frau investiert. Sie spüren eine tiefe Zusammengehörigkeit, die sie bis an ihr Lebensende verbinden wird.
»Unterrichtest du immer noch?« fragt Cambara.
Er nickt.
»Ruhestand noch nicht in Sicht?«
»Noch nicht«, antwortet er.
»Und deine Frau?«
»Meine Frau ist der Meinung, daß wir einander ins Gehege kommen werden, wenn ich pensioniert und wie sie zu Hause bin – sie ist in den Vorruhestand gegangen. Auch weil wir vor kurzem umgezogen sind, uns eine kleinere Wohnung gekauft haben, als unsere Jüngste ausgezogen ist.«
»Laß dich pensionieren und ihr bereist die Welt«, sagt sie. »Was spricht dagegen?«
Jeebleh beißt sich fest auf die Lippen, als er die Schwierigkeiten bedenkt, denen sich Cambara und Bile gegenübersähen, wollten sie eine Weltreise unternehmen. Cambara, jung, gesund und im Besitz eines kanadischen Passes, hätte kein Problem, aber Bile würde nicht weit kommen.
»Wir haben ein ganz anderes Problem als ihr«, sagt er und läßt zwischen den einzelnen Worten längere Pausen. »Judith ist als Tochter jüdisch-litauischer Einwanderer in Manhattan geboren und hält New York für den Nabel der Welt. Für sie ist es unvorstellbar, daß sich jemand überhaupt um dessen Randbereiche scheren könnte.«
»Ist es nicht interessant, daß ich mich während meiner ganzen Zeit in Toronto nie fühlte, als lebte ich in einem Weltzentrum?« sagt Cambara. »Aber als ich jünger war und in Mogadischu lebte und es nicht besser wußte, dachte ich, ich würde im Mittelpunkt des Universums leben. Wie sich doch die Welt verändert und mit ihr unsere Wahrnehmung von Zentrum und Randbereich.«
»Und wie ist deine derzeitige Wahrnehmung, jetzt da du wieder in Mogadischu bist?«
»Alle Gedanken haben hier ihr Zentrum, in Bile.«
»Willst du damit sagen, daß sonst nichts eine Rolle spielt?«
»Ich möchte damit sagen, daß meine Welt hier ist, wo Bile und ich leben, in einem Randbereich der Welt, der für mich zum Zentrum geworden ist«, sagt sie.
»Schon erstaunlich, wie wir uns auf Veränderungen einstellen.«
»Seit ich wieder hier bin, habe ich Mogadischu nur einmal verlassen, als ich mit Bile zu seiner Prostataoperation nach Nairobi geflogen bin. Wir hatten immense Schwierigkeiten, für ihn ein Visum nach Kenia zu organisieren. Ich habe keine Ahnung, ob und wann ich nach Toronto zurückkehren werde. Ich kann mir nicht vorstellen, allein hier zu leben.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich freue, dich zu sehen.«
»Und umgekehrt.«
Er kann sich nicht einmal vorstellen, wie sie auf den Gedanken reagieren könnte, der ihm gerade durch den Kopf geschossen ist. Er fragt sich, ob diese Frage, plötzlich inmitten ihrer lockeren Unterhaltung gestellt, ihr Verhältnis nicht belasten wird.
»Wie steht es mit Heirat?«
Ihr Lachen erleichtert ihn, ihr Aufseufzen und ihr Lächeln erheitern ihn. Er freut sich über die Unbeschwertheit ihres Tonfalls, als sie sagt: »Du schießt für jemanden, der sonst so gute Manieren hat, aber sehr direkt aufs Ziel los!«
»Ich mache mir Sorgen um Bile.«
»Was würde eine Ehe daran ändern?«
»Sie würde
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