Gekapert
Einheit, bestehend aus den Jüngsten, erhält von einem kleinen Mann mit dicker Brille eine Lektion über Sprengstoffe. Jedesmal, wenn ihm ein Schüler eine Frage stellt, zieht er ein Handbuch zu Rate.
Jeebleh hat das Gefühl, daß er nicht in einer Stadt, sondern in einem Dorf irgendwo im Hinterland ist. Aber er ist sich nicht sicher, Mogadischu hat jegliche Gestalt verloren und ist jetzt nichtssagend wie ein abgenutztes Zahnrad in einer Maschine. Es verstört ihn zutiefst, daß Mogadischu nicht mehr die ihm vertraute Weltstadt ist, seine derzeitigen Bewohner Fremde, die man als Söldner angelockt hat. Wohin er blickt, sind notleidende Männer und Frauen; zerlumpte Kinder trotten argwöhnisch vorbei, viele von ihnen ausgezehrt, die Bäuche aufgetrieben, die Augen fliegenumschwärmt. Sie wirken erschöpft, Angst und ständige Wachsamkeit haben sie verstummen lassen.
In der Nähe detoniert eine Mine. Viele Menschen sterben, noch mehr werden verletzt. Jeebleh überprüft, ob eines seiner Glieder fehlt. Diesmal verschont ihn das Schicksal. Voller Entsetzen blickt er um sich. Die meisten der Toten und Verletzten sind jung; er kann wenig Hilfe leisten. Er trifft einen Mann in seinem Alter. Als Jeebleh sich laut fragt, warum die älteren Menschen verschont wurden, sagt der alte Mann: »Es gibt Gründe, weshalb wir am Leben sind.«
»Warum sind Sie verschont geblieben?« fragt Jeebleh.
»Weil ich die Märtyrer anwerbe«, antwortet der Mann.
»Sie werben sie an, sie sterben und Sie leben weiter?«
»Ich nähre mich vom Blut der Märtyrer.«
»Die Jungen sterben als Märtyrer und die Alten leben weiter?«
»Stimmt«, erwidert der alte Mann.
»Aber das ist doch absurd«, sagt Jeebleh.
»Im Gegenteil«, sagt der Mann, »für sein Land zu sterben ist vorbildlich. Nichts ist so ehrenwert, wie als junger Mensch für sein Land zum Märtyrer zu werden.«
»Letzten Endes hängt das ja wohl vom Märtyrer ab«, widerspricht Jeebleh. »Ist es Ihnen je in den Sinn gekommen, den Jungen die Entscheidung zu überlassen, ob sie weiterleben oder für eine Sache sterben wollen, an die sie vielleicht gar nicht glauben?«
»Das Blut der Märtyrer hält die Nation am Leben«, witzelt der alte Mann. »Ohne Blut kein Land.«
Der alte Mann geht weg und setzt sich ganz in der Nähe hin, gibt vor zu beten. Jeebleh hilft den Verwundeten und beerdigt dann ohne die Unterstützung des Märtyreranwerbers die Toten in einem Massengrab. Dann geht er weiter, kommt an einem eingefallenen Haus vorbei. Von den Dachsparren sieht er menschliche Gestalten hängen. Er fragt sich, ob irgend jemand für diesen sinnlosen Massenmord zur Verantwortung gezogen, ob irgend jemand dieser Verbrechen angeklagt wird.
Jeebleh wacht auf wie ein erschöpfter Wanderer, der eine enorme Etappe bewältigt hat. Sein ganzer Körper schmerzt, und er fühlt sich von unbestimmbaren Sorgen niedergedrückt. Er lauscht, ob aus Maliks Teil der Wohnung Geräusche dringen, aber es ist nichts zu hören.
Während er noch ein gemütliches Frühstück aus Toast und Kaffee genießt, kommt Malik aus seinem Arbeitszimmer. »Kaffee – genau, was ich brauche.«
»Guten Morgen«, sagt Jeebleh.
»Guten Morgen.«
»Gut geschlafen?«
»Ich habe wenig geschlafen, aber gut gearbeitet«, antwortet Malik.
Malik bedeutet Jeebleh, er möge einen Augenblick warten, geht eilig ins Badezimmer, vielleicht um sich vor dem Kaffee die Zähne zu putzen. »Schlaf kannst du immer nachholen«, ruft Jeebleh seinem Rücken hinterher.
Bald ist Malik wieder zurück. »Kann ich bitte welchen haben?« fragt er und deutet auf den Kaffee.
»Gern«, antwortet Jeebleh. »Was kann ich dir sonst noch anbieten?«
»Ich stimme dir zu, daß sich Schlaf besser nachholen läßt als journalistische Arbeit, vor allem, wenn man sie eine Weile vernachlässigt hat«, sagt Malik. Er nimmt einen Schluck Kaffee und sagt, als wollte er das Ausmaß seiner Eile kundtun und unterstreichen, daß er nicht in der Stimmung ist, eine längere Unterhaltung zu führen: »Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich allein lasse? Ich bin ganz versessen darauf, weiterzumachen.«
»Sehr gut«, sagt Jeebleh.
»Höchste Zeit, mich mit ein, zwei Journalisten zu treffen, Zeit, mit Leuten aus dem Pirateriegeschäft Interviews zu vereinbaren«, sagt Malik, »allerdings will ich mich da weniger auf Gumaad verlassen, sondern mehr auf Qasiir oder Dajaal. Sie sind ziemlich gut vernetzt.«
»Gute Idee«, sagt Jeebleh.
Und Malik zieht sich
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