Gekapert
Friedensverhandlungen schaden wollen«, fährt Jeebleh fort. »Er habe eine seiner vier Frauen besucht, die zufälligerweise in Buurhakaba lebe.«
Es dauert ungefähr eine Minute, bis ihnen die Bedeutung dieses Berichts klar wird. Jeebleh erzählt ihnen, daß der Zwischenfall in etlichen Städten die Alarmglocken habe läuten lassen: natürlich in Baidoa, wo nicht nur der Übergangspräsident Somalias, sondern auch der kommissarische Premierminister und das Kabinett ihren Sitz haben, in Addis Abeba, wo der äthiopische Premierminister sein Kabinett und seine militärischen Berater zu einer Krisensitzung einberufen hat, in Washington D.C., wo die Funktionäre von Verteidigungs- und Außenministerium die für Somalia Zuständigen einbestellt haben, um sie zu informieren, welche Auswirkungen diese neue Provokation haben wird. In ganz Somalia herrscht Panik, jeder nimmt an, daß die Garnisonsstadt Baidoa angegriffen werden wird, wenn es nicht bereits geschehen ist.
»Wohin man schaut, züngelt Krieg auf«, sagt Malik.
»Wo soll das alles noch hinführen?« sagt Jeebleh. »Wird jemand die beiden Parteien dazu bewegen können, von dem Abgrund zurückzutreten und mit ihren Friedensverhandlungen fortzufahren, statt dieses Land in einen unnötigen, mörderischen Krieg zu stürzen?«
»Es bedeutet Krieg, Krieg – und zwar nicht ob, sondern wann«, sagt Dajaal.
D ie Sorge läßt Jeebleh unruhig schlafen, im Traum nimmt er Pferdewiehern, Eselsgeschrei, das Muhen von Kühen wahr, das intensive Dunkel der Nacht kurz vor Anbruch der Dämmerung, den Ruf des Muezzins. Überraschenderweise befinden sich im Traum Malik und er unter den Betenden. Malik hält sich eng an Jeebleh, sieht ängstlich drein, als wäre er plötzlich unsicher, was er zu tun hat, ob er die rechte Hand auf die linke unter- oder oberhalb des Bauchnabels legen soll, ob er, den Kopf gesenkt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Hände auf den Knien, die Finger ein wenig oder gar nicht spreizen soll. Ihm ist bewußt, daß es bei den verschiedenen Glaubensausrichtungen Unterschiede gibt, was wann zu tun ist. Da er aber seit beinahe zwanzig Jahren weder einen Fuß in eine Moschee gesetzt noch gebetet hat, ist er sich unsicher und beobachtet Jeebleh genau, damit er seinen Schwiegervater nicht blamiert.
Ein Mann in ihrer Nähe sagt, es herrsche »morgendlicher Wahnsinn«. Jeebleh versteht nicht, was der Mann damit meint. Auch bekümmert es ihn, daß er den Mann nicht kennt, da entdeckt er, daß Malik, ein Notizbuch in der Hand, den Kugelschreiber gezückt, den Fremden interviewt. In der Ferne stieben Staubwolken auf, rufen ihn, und Jeebleh schlendert in Richtung der Sandwirbel über die Berge weiter nach Osten.
Dann findet er sich in einem ihm unbekannten Stadtviertel wieder, in dem so gut wie alle Häuser dem Erdboden gleichgemacht, die Straßen aufgerissen, die Gehwege zu Schluchten zerfallen sind, in den Trümmern sind Blindgänger verstreut. In einem Krater in der Nähe einer riesigen Ruine, die von einer Bombe mit der Wucht eines Meteors verursacht worden sein muß, steht ein Kampfwagen, dessen aufmontierte Waffe mit dem Blut der Opfer verschmiert ist; immer noch steigt Rauch daraus auf. Als er den Wagen berührt, ist er warm wie ein lebendiger Körper. In der Nähe hat man die Leichen einfach dort liegenlassen, wo sie gefallen sind, darunter, nach den Uniformen zu urteilen, einige Äthiopier sowie ein paar junge Somalier. Dann werden einige der somalischen Jugendlichen wieder lebendig und halten Kriegsrat, auf die Art wie Sportmannschaften es zu tun pflegen. Dann ist der Kriegsrat beendet, und sie nehmen Positionen ein, die offensichtlich zuvor vereinbart worden sind, reden wie Schauspieler, die Dialoge eines schlechten Drehbuchs einstudieren. Sie sind in makelloses Weiß gekleidet, tragen bunte Kufijas und lange Bärte. Aus dem Nichts tauchen ein paar Frauen auf, alle sind hübsch, haben Gazellenaugen und entsprechen ganz dem Bild, das man von den Huris im Paradies hat, und widmen sich den Jugendlichen.
Jetzt teilen sich die Jugendlichen in Einheiten auf. Eine Einheit gräbt aus den Trümmern ein Waffenversteck aus: Panzerfäuste, leichte und schwere Maschinengewehre, halbautomatische Waffen, eine stattliche Anzahl selbstgebastelter Sprengsätze. Eine zweite Einheit wartet herumalbernd am Straßenrand. Aber als sich mehrere Pick-ups nähern, auf denen Flugabwehrgeschütze montiert sind, verstummen die Jugendlichen und nehmen Aufstellung. Eine dritte
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