Gekapert
nicht begleichen. Er wünscht, er könnte Malik mehr behilflich sein, er wünschte, er hätte vorher darüber nachgedacht, in welche Gefahr ein Journalist sich hier begibt.
Es ist stockfinster, er hört das ungleichmäßige Brummen der Drohne auf ihrem nächtlichen Erkundungsflug. Zum dritten Mal werden ausländische Kräfte Äthiopien bei der Invasion Somalias unterstützen. Im 16. Jahrhundert kämpften portugiesische Söldner auf Seiten Äthiopiens – das damals noch Abessinien hieß –, um Ahmed Gurey, Ahmed den Linkshänder, zu besiegen. Ende der 1970er wechselten die Sowjets die Seiten, und die Kubaner griffen ein und jagten die Somalier aus Ogaden, dem somalischsprachigen Teil Äthiopiens. Werden beim dritten Mal die Vereinigten Staaten in dieses dunkle Kapitel der Geschichte eingehen?
Jeebleh stellt sich die Aufgabe, das Sternbild der Mutterkamele zu finden, auch unter dem Namen »Drache« bekannt. Es gelingt ihm, und in diesem Augenblick erfüllt ihn Freude. Er sitzt die ganze Nacht draußen.
Jeebleh muß eingenickt sein, denn beim ersten Ruf des Muezzins tritt Malik mit der Geräuschlosigkeit eines Verschwörers auf den Balkon. Auf einem Tablett trägt er eine Kanne mit frischem Tee und zwei Tassen.
»Zwei fertig, einer muß noch geschrieben werden«, sagt Malik.
Die Muezzins, die die Gläubigen zum Gebet rufen, tun dies leicht zeitversetzt. Manche Stimmen klingen lieblich, manche unaufdringlich, beinahe kumpelhaft, manche rauh, andere wiederum holprig und schwerfällig, wie klumpiger Sirup, manche kräftig wie die Äste des Baobab. Jeeblehs Mutter mochte einen ägyptischen Vorsänger besonders gern, immer wieder lauschte sie voller Vergnügen den Kassetten, auf denen er Koransuren rezitierte. Jeebleh fragt sich, ob er jemals wieder seine Gebete sprechen wird. Die leichte Brise, die den Morgensegen der umliegenden Moscheen mit sich trägt, bestärkt ihn in der Gewißheit, daß Malik nichts zustoßen wird. Und als die Rufe verstummen, verschwindet der Lärm der Drohne vom Himmel.
»Würdest du die Artikel gern lesen?« fragt Malik.
»Mit Vergnügen.«
Malik reicht Jeebleh die ausgedruckten Entwürfe, wie man einem geachteten Ältesten ein kostbares Geschenk überreicht, mit beiden Händen, den Kopf leicht geneigt. »Hier bitte.«
»Ist es in Ordnung, wenn ich sie im Flugzeug lese?«
»Klar. Lies sie, wann immer du willst.«
Es ist das erste Mal, daß Malik angeboten hat, ihm einen Artikel vor der Publikation zu zeigen. Jeebleh vermutet, daß Malik den Austausch mit anderen Journalisten vermißt, denn der ist ihm in Mogadischu bisher nicht gelungen. Oder er schließt eventuell mit der ihm bevorstehenden Einsamkeit Frieden, und ihre Unfähigkeit, darüber zu reden, daß ihm etwas zustoßen könnte, bedrückt ihn nicht länger.
Die Sonne geht auf, trifft schräg auf den Balkon.
»Zeit für eine Dusche«, sagt Jeebleh schließlich.
Malik bereitet das Frühstück vor.
Beim Frühstück sagt Jeebleh: »Laß uns über Geld reden.«
»Was geht dir durch den Kopf?« fragt Malik.
»Ich muß an Dajaal und Qasiir denken.«
Beide essen schweigend, entschlossen, sämtliche beunruhigenden Gedanken zu verbannen. Zweifellos werden sich nach Jeeblehs Abflug nach Nairobi in einigen Stunden für Malik neue Wege eröffnen, selbst wenn er dadurch mit beunruhigend Unbekanntem konfrontiert werden sollte.
»Qasiir hat innerhalb kürzester Zeit bewiesen, wie schnell er ist, wie wertvoll«, sagt Jeebleh schließlich. »Wahrscheinlich ist es sinnvoll, sich für die gesamte Dauer deines Aufenthalts hier seine Unterstützung zu sichern. Er ist Computerexperte, hat ein Gespür für die Entwicklung der Dinge, hat Kontakt zu seinen ehemaligen Milizkumpels, von denen einige zur Al-Schabaab gehören. Er betet in den richtigen Moscheen, und im Gegensatz zu Gumaad ist er vertrauenswürdig.« Er hält inne. »Wann warst du übrigens das letzte Mal in einer Moschee?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal gebetet habe. Warum?«
»Vielleicht ist es Zeit, daß du wieder einmal gehst.«
»Vielleicht mache ich das«, sagt Malik.
»Nach dem Einmarsch werden die Moscheen weiterhin das Zentrum der Opposition bleiben, und die Aufständischen werden sich dort treffen. Qasiir ist glaubwürdig, da er häufig die Moscheen besucht, wo die Fäden aller sozialen und politischen Aktivitäten zusammenlaufen.«
»Ich werde in die Moschee gehen und unauffällig am Gebet teilnehmen«.
»Es wird sich lohnen«,
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