Gekapert
euch beiden die Extremisten vom Hals halten.«
»Ich bezweifle, daß eine Heirat das bewirken würde. Es fehlt ihnen einfach am guten Willen. Warum mich nicht als Krankenschwester betrachten, die einen Genesenden pflegt? Sie haben bereits den Kontakt zwischen den Geschlechtern für ungesetzlich erklärt; bald werden sie Frauen das Autofahren verbieten. Wo soll das alles noch hinführen? Nur männliche Pfleger für männliche Patienten? Patientinnen dürfen nur Ärztinnen aufsuchen? Und das in einem Land, in dem es an Schwestern mangelt, von Ärztinnen ganz zu schweigen?«
»Wie finden sie es denn, wenn Dajaal fährt und du leichtverschleiert vorne neben ihm sitzt und dich mit ihm unterhältst?«
»Als uns einmal so ein junger Schwachkopf anhielt und fragte, ob er mein Mann sei, log ich und sagte ja. Diese Extremisten sind nämlich viel glücklicher, wenn man sie anlügt, als wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Ein hoffnungsloses Pack, diese Ärsche, und wahrscheinlich halten sie mich für provokant und ich gehe ihnen gegen den Strich. Schließlich bin ich nicht eine dieser armseligen Frauen, die sie zum Straßenfegen heranziehen. Sie bevorzugen einen ganz bestimmten Typ Frau, nämlich jenen, der ungebildet ist und sich nicht zur Wehr setzen kann. Deshalb versuchen sie Waisen und Kinder aus zerrütteten Familien für die Al-Schabaab zu gewinnen. Sie bauen darauf, daß die, die schlecht informiert und arm dran sind, nach ihrer Pfeife tanzen.«
»Sind die Frauen, die sich zum Straßenfegen melden, eigentlich vom Schleiertragen befreit?« fragt Jeebleh.
»Es ist alles eine Frage der Schicht«, antwortet sie. »Eine Frau am Steuer ihres eigenen Autos, die mit einem Mann zusammenlebt, mit dem sie nicht verheiratet ist, und die ihre Meinung sagt – das provoziert sie.«
Sie verstummt, sieht zum ersten Mal traurig aus.
»Wie stehst du zu Bile?« fragt Jeebleh sanft. Er schweigt, bis sie zu einer Antwort bereit ist.
»Ich liebe ihn.«
»Laß uns ein paar Leute hereinbitten«, sagt er.
»Wen und wozu?«
Ein Anflug von Schüchternheit überkommt Jeebleh. »Damit du und Bile in Anwesenheit von Zeugen zu Mann und Frau erklärt werdet.«
Er blickt sich um, sieht sie an, seufzt, lehnt sich zurück, schließt die Augen und reibt sich den Nasenrücken. Dann heftet er lächelnd den Blick auf sie. »Gott, ich komme mir vor, als ob ich derjenige wäre, der den Antrag macht.«
»Genau das tust du auch. Sehr angemessen, möchte ich übrigens hinzufügen.«
»Als ob ich sein Vater wäre«, sagt Jeebleh.
»Werden so nicht Ehen arrangiert?«
»Wenn du möchtest, mußt du nicht anwesend sein, wenn der Scheich dich und Bile zu Mann und Frau erklärt.«
»Wie passend aber auch!«
»Du weißt, warum und für wen ich das mache.«
»Bedauerlicherweise ja.«
»Dann reden wir bis zum betreffenden Tag nicht mehr darüber?«
Wie aufs Stichwort klingelt es an der Tür, und eine Minute später tritt Dajaal ein, um Jeebleh abzuholen. Jeebleh steht vom Stuhl auf, unsicher, was er tun soll. Dajaal spürt die bedeutungsschwangere Atmosphäre; eilig geht er wieder zum Auto hinaus und wartet.
Cambara steht dicht neben ihm, ihre Körper berühren sich beinahe. Dann nimmt sie ihn in die Arme und küßt ihn, auf jede Wange einmal. Er spürt, wie ein leichtes Zittern ihren Körper durchläuft, als sie sich aus der Umarmung löst. Jeebleh spürt, daß sie etwas loswerden will. »Es gibt keinen Grund zur Sorge, weder für dich noch sonst jemanden«, sagt sie. »Bile ist in guten Händen, und solange ich lebe, wird es ihm an nichts fehlen. Mach dir also um ihn keine Sorgen.«
Sie umarmen sich erneut.
»Laß es dir gutgehen.«
»Du dir auch.«
Das Abendessen ist eine hastige Angelegenheit, denn Malik hat keine Zeit, ist im Schreibrausch. Jeebleh zieht sich in sein Zimmer zurück; er versucht sich im dritten Anlauf an Crucible for Survival , einem Buch des Politgeographen Clive Schofield über Somalias maritime Ressourcen. Aber es gelingt ihm nicht, den Gedanken eines Abschnitts lange genug im Gedächtnis zu behalten, um ihn auch zu verstehen. Er legt das Buch beiseite und dankt im Stillen dem Autor, die Aufmerksamkeit der Welt auf die Ausbeutung der somalischen Gewässer gelenkt zu haben.
Er befürchtet, es könnte ihm auf dem zugigen Balkon zu kalt sein, und zieht sich einen Pullover an. Er gelangt auf den Balkon ohne Malik zu stören, der immer noch schreibt. Jeebleh sitzt da wie ein Schuldner, der sich sorgt, er könnte seine Rechnungen
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