Gekapert
zurück.
Jeebleh packt seinen Koffer und steckt die Hälfte seines übriggebliebenen Geldes in einen Umschlag, das er vor seinem frühen Abflug am nächsten Morgen sehr wahrscheinlich zwischen Dajaal und Qasiir aufteilen und dabei den größeren Teil dem Älteren geben wird. Dann setzt er sich ins Wohnzimmer, um sich seiner Lektüre zu widmen. Aus New York hat er ein halbes Dutzend Bücher mitgebracht und bis jetzt nicht einmal die Zeit gefunden, sie auch nur aufzuschlagen, geschweige denn zu lesen. Wahrscheinlich wird er sie hierlassen, sie könnten Malik bei seiner Recherche zur Piraterie von Nutzen sein, ihn auch darüber informieren, welche Konflikte der somalische Bürgerkrieg und die daraus resultierende Verarmung und Versteppung des Landes in Afrika und dem Nahen Osten mutmaßlich hervorrufen wird.
Aber Jeebleh ist unruhig, kann sich nicht konzentrieren. Voreilig Schlüsse zu ziehen ist untypisch für ihn, aber seit seiner kurzen Begegnung mit Vollbart, seit er Gumaad kennengelernt hat, kann er nicht anders, als die Union für eine Truppe abgestumpfter, selbstsüchtiger Männer zu halten, die in den Kulissen auf ihre Chance gewartet hat, das Land nach ihrer Vorstellung zu beherrschen. Er macht sich Sorgen, daß Malik der besonderen Grausamkeit zum Opfer fallen könnte, mit der Al-Schabaab Journalisten mit weltlichen Tendenzen bestraft.
Er steht auf und wählt die Nummer von Bile und Cambara. Nach dem ersten Klingeln hebt sie ab. Während er ihr zuhört, wird ihm klar, daß er sie sympathischer findet, als ihm bewußt war.
»Macht es euch eigentlich Umstände, wenn ich euch besuchen käme? Malik arbeitet, und mir ist nicht nach Lesen zumute.«
»Ja, gern«, sagt sie, »du kannst jederzeit vorbeikommen.«
»Wie geht es Bile?«
»Liegt im Bett, liest und macht gelegentlich ein Nickerchen.«
»Bis bald also.«
Jeebleh legt auf und ruft Dajaal an, damit der ihn abholt.
Nach einem leichten Mittagessen mit Cambara und Bile steht Jeebleh am Spülbecken und wäscht das Geschirr ab. Cambara ist oben bei Bile, der erschöpft das Handtuch geworfen hat. Cambara hat ihm versichert, sobald sie sich um Biles Bedürfnisse gekümmert habe, werde sie wieder herunterkommen.
Er studiert die arabische Schrift auf der Spülmittelflasche: Importiert aus Australien via Vereinigte Arabische Emirate. Der Begriff »Globalisierung« ist irreführend, findet Jeebleh, ein Wort, das nur schlecht abbildet, was sich international in der Geschäftswelt abspielt. Ihm fällt sein Traum ein, und Falten ziehen sich über seine Stirn. Beim Aufwachen standen ihm die Haare zu Berge wie die Wurzeln eines sturmzerzausten Baobabs. Malik hat er seinen Traum verschwiegen.
Seine Gedanken wandern zu seinem Freund und dessen Glück zurück. Das Gefängnis des Bürgerkriegs, in dem sie derzeit leben, das Bewegungs-, Ausdrucksfreiheit und den Umgang mit anderen beschneidet, ist einer innigen Partnerschaft nicht unbedingt förderlich. Sie scheinen sich jedoch in der Gesellschaft des anderen sehr wohl zu fühlen und daß es ihnen gelingt, ohne Verbitterung unter den gegebenen Umständen zusammenzuleben, beweist die Tiefe ihrer Bindung. Ihm ist es völlig gleich, ob sie getrennte Schlafzimmer haben, auch wenn er hofft, daß sein Freund, der so viele Jahre eingesperrt war, die Chance gehabt hat, zwischen dem Gefängnis der Krankheit und dem näher rückenden Alter, die verlorene Zeit aufzuholen.
Als er die letzten Teller in die Schränke geräumt hat, hört er Cambara herunterkommen. Er blickt hoch und sieht, wie sich der Staub im Sonnenlicht auflöst und ihr den Weg freigibt.
Sie bittet ihn, Espresso zu machen und eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank zu holen. Jeebleh ist froh, daß sie sich ihm gegenüber so entspannt benimmt, es gibt ihm das Gefühl, hier zu Hause zu sein.
Sie sitzen einander gegenüber. Sittsam wendet er den Blick von ihrem Gesicht ab und bemerkt, daß die Vorderseite seiner Hose beim Abspülen naß geworden ist. Auch Cambara bemerkt es, sieht lächelnd weg. Die Dusche scheint sie belebt zu haben. Sie hat einen legeren Kaftan angelegt, ist barfuß und macht den Eindruck, als wollte sie auf Zehenspitzen völlig unbeschwert durch den restlichen Tag tanzen. Er erinnert sich daran, wie entspannt seine Frau immer wirkte, wenn die Kinder eingeschlafen waren. Cambara trinkt einen Schluck Kaffee, nimmt ihren rechten Ohrring heraus und legt sich den Stecker auf die Handfläche. Sie mustert ihn, wirft ihn hoch, fängt ihn auf,
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