Geklont
daß Leute überhaupt sterben mußten; aber man hatte dort so viele unterschiedliche Nuancen des Zorns gespürt, so viele verschiedene Abstufungen des Bedauerns, ganz und gar nicht wie bei den Reportern, sondern sehr intensiv, sehr kompliziert, was Ari alles ihren Gesichtern anmerken konnte.
Justin und Grant waren gekommen. Grant war einer der wenigen Azis gewesen.
Viele Leute hatten berichtet, daß Mama ihre Lehrerin war, und sie mochten sie wirklich sehr.
Dr. Schwartz hatte erzählt, wie Mama und er immer lautstarke Auseinandersetzungen geführt hatten, die jeder in den Fluren hören konnte; aber das hatte daran gelegen, daß Mama sich nie mit halben Sachen zufriedengab; und er sagte, was immer sie bei Reseunespace aufgebaut hatte, würde gut laufen, weil Mama immer so sorgfältig gearbeitet hatte.
Das rief in Ari Erinnerungen an Mamas Stimme wach, wie sie aus dem Schlafzimmer dröhnte, durch die Wände: Verdammt noch mal, Ollie... Und ließ sie sich ganz warm fühlen, als ob Mama sie gerade anschriee: Verdammt, reiß dich zusammen, Ari, mach nicht einen solchen Blödsinn! Damit kommst du bei mir nicht durch.
Als sei Mama für einen Augenblick wieder da. Als sei sie zurück, hier drin, in diesem Augenblick. Oder immer, wenn Ari an sie denken wollte. Sie war nicht mehr auf Fargone.
Nur Ollie. Und vielleicht auch einige von den Verschwundenen.
Ari hatte während des Heimflugs nachgedacht - wer im Haus vielleicht noch eine Menge Dinge wußte.
Und wem sie eine solche Angst einjagen konnte, daß er es ihr erzählte.
IX
»Du bist ein verdammter Idiot«, sagte Yanni, und Justin sah ihm in die Augen und sagte:
»Das ist nichts Neues. Es ist alles in dieser Notiz enthalten. Vielleicht denkst du, ich habe Hintergedanken - aber das ist nicht der Fall. Nichts gegen John Edwards. Nichts gegen irgendeinen anderen. Ich weiß nicht einmal, ob ich recht habe. Es ist bloß ...«Er zuckte die Achseln. Man ging bei Yanni leicht zu weit, und das hatte er wahrscheinlich schon getan, bei weitem zu weit. Zeit, einen Rückzug anzutreten, nahm er an. Und zwar schnell. »Ich werde mich jetzt wieder um meine Angelegenheiten kümmern«, sagte er. »Ich werde morgen das GY-Projekt reinbekommen.«
»Bleib sitzen!«
Er sank unter Yannis finsterem Blick in den Stuhl zurück.
»Du glaubst also, das Kind hat nicht genug Stress.«
»Das meine ich nicht. Du weißt, daß ich das nicht so meine.«
»Mein Junge, die Administration ist gegenwärtig nur ein bißchen geschafft. Ich auch. Ich nehme die Tatsache mit Wohlwollen zur Kenntnis, daß du das Kind nicht haßt, daß du wirklich glaubst, du hast etwas entdeckt, aber weißt du, wir sind alle erschöpft, wir sind alle etwas mitgenommen, und ich hoffe, du hast dich damit nicht an jemand anderen gewandt.«
»Nein, habe ich nicht.«
»Weißt du, was ich glaube, was du machst?«
Keine rhetorische Frage. Yanni ließ eine lange, unversöhnliche Stille für seine Antwort eintreten.
»Was, Ser?«
»Das hört sich für mich nach deiner eigenen Verrücktheit an, nach dem verdammten Sumpf, in den du immer wieder zurücksackst wie ein Stein, der zu Boden fällt, so klingt's für mich. Motivationen und Belohnungsstrukturen.«
»Ich denke, ich bin auf etwas gestoßen.«
»Und du hast es auf geschrieben.« Yanni nahm die dreiseitige Notiz in die Hand und schob sie in einen Schlitz an der Kante seines Schreibtischs. Ein rotes Kontrollämpchen blitzte auf, und ein leises Summen verriet, daß selbst die Asche zerkrümelt wurde. »Damit tu ich dir einen Gefallen, mein Junge. Es ist mir nicht gestattet, Dokumente zu vernichten, die mit dem Projekt zu tun haben. Ich habe gerade gegen eine Vorschrift verstoßen. Leider verhält es sich so - daß einige von uns glauben, du hast mit dem hier ins Schwarze getroffen. Und eines deiner Argumente gefällt mir ... Wenn's dir nichts ausmacht, würde ich es gern in der kommenden Personalsitzung verwenden.«
»Was du willst. Mir wäre es nur recht, wenn du nicht die Quelle angibst.«
Yanni bedachte ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Manchmal machst du mir Sorgen.«
»Ich habe keine Hintergedanken. Ich möchte einfach nicht, daß mein Name draufsteht.«
Noch ein langer Blick. »Psychische Manipulation auf dem Wege der Motivation. - Du hattest die Rubin-Daten nicht vorliegen. Nur die Strukturen. Ich sagte dir, ich würde dir Echtzeit-Arbeit ersparen. Aber ich hätte gern, daß du etwas für mich erledigst, mein Junge. Einen Gefallen tust.
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