Geklont
Geste, die ihr einfiel.
Eine Viertel-, vielleicht eine halbe Stunde sagte sie nichts, saß nur da, während Denys ein weiteres Glas leerte.
Dann meldete sich der Automatische Haushälter. »Eine Mitteilung von Abban AA an Basis Zwo, Sonderkanal.«
Denys antwortete nicht sofort. Dann fragte er: »Was gibt's?«
»Ser Denys«, sagte Abbans Stimme mit der Kühle, die ihr die Entfernung und die Wiedergabe durch den Haushälter verlieh, »Giraud ist gerade gestorben. Ich werde mich darum kümmern, daß er seinen Befehlen gemäß nach Hause gebracht wird. Er hat Sie gebeten, seine Basis zu übernehmen.«
Denys barg das Gesicht in die Hände.
»Abban«, ergriff Seely das Wort. »Hier ist Seely AA. Der Ser bedankt sich bei dir. Gib die Einzelheiten an mich durch; ich stehe ihm zur Seite.«
Ari saß lange Zeit da und wartete, bis Denys sich die Augen abwischte und zitternd durchatmete.
»Lynch«, sagte er. »Jemand muß Lynch verständigen. Sag Abban, er soll sich darum kümmern. Er muß an Girauds Stelle treten. Dafür muß er einen entsprechenden Antrag stellen. Und zwar sofort.«
III
In Zweier- und Dreierreihen trotteten die Familienmitglieder in den Westgarten, trugen in der Strenge des Herbstnachmittags Mäntel und Jacken.
Wobei einige auffälligerweise fehlten, was Ari ihre Position an der Spitze der Familie doppelt bewußt machte - achtzehn, in makelloser Trauer, und so pietätvoll gekleidet, wie man es von ihr erwartete - mit der Topas-Nadel am Revers, die Giraud ihr geschenkt hatte ... etwas, das dir ganz allein gehört ...
Die Beerdigung gehörte auch zu den Pflichten, vor denen sie sich gedrückt hätte, wenn es ihr möglich gewesen wäre.
Denn Denys hatte ein furchtbares Durcheinander angerichtet. Er hatte die Nerven verloren, sich nicht an die Vereinbarung gehalten, als Nachfolger seines Bruders Rat fürs Wissenschaftsamt zu werden, und sich außerdem geweigert, an der Beerdigung teilzunehmen. Denys saß drüben im alten Labor von Flügel Eins und überwachte die Bereitstellung und Implantation des ZIV-Gensets 684-044-5567 ... genau zu dieser Stunde - was Ari, auch wenn sie seine Beweggründe nachempfinden konnte, mit einem vagen Schauder des Ekels erfüllte.
So blieb sie, das Pflegekind, als die nächste Verwandte zurück - obwohl sie nicht einmal direkt mit Giraud verwandt war, rangierte sie in der unmittelbaren Rangfolge der Familie vor Emil Carnath-Nye, Julia Carnath-Nye und Amy. Ihr war diese Rolle unangenehm, auch wenn sie wußte, daß sich Julias Bindung an Giraud eher dem persönlichen Ehrgeiz als den Zufälligkeiten des Blutes verdankte. Zum Teufel mit Julia! Bei ihr war es eine Prestigefrage, und es mißfiel ihr sehr, Amy aus ihrer vertrauten Umgebung zu holen; das war das Unangenehme daran. Die Carnath-Nyes bildeten eine bunt zusammengewürfelte kleine Fraktion, die heutzutage weit mehr von Blut- als von freundschaftlichen Banden zusammengehalten wurde. Amy hatte Quentin mitgebracht, so wie Ari Florian und Catlin mitgebracht hatte, zu ihrer persönlichen Sicherheit in schwierigen Zeiten, nicht um ihn den Augen der Familie und dem Mißfallen ihrer Mutter auszusetzen; Julia Carnath sah das allerdings mit Sicherheit nicht so.
Julia und ihr Vater Emil waren dagegen, daß Abban neben ihnen stand und nahmen kleinlich Anstoß an ihm - ausgerechnet an dem Mann, der Giraud in vielerlei Hinsicht näher gewesen war als alle seine nahen Verwandten, selbst Denys; der seine Hand gehalten hatte, als er starb, und mit einer zurückhaltenden Sorgfalt die förmlichen Anzeigen und Mitteilungen besorgt hatte, als kein Familienmitglied etwas zu tun imstande gewesen war.
Diese Haltung würde mit Sicherheit bald aussterben: Ari hatte schon vorher darauf aufmerksam gemacht und sich über die alte Reserviertheit entrüstet. Die anderen sollten ruhig wissen, was sie tun würde, wenn sie im Haus an der Macht war; ganz gleich, wie sehr sie das beleidigte.
Amy war da. Maddy Strassen stand in der vordersten Reihe neben Tante Victoria, Mamas Schwester und mit hundertfünfundvierzig Jahren eine der ältesten lebenden Menschen überhaupt, von den Raumfahrern abgesehen.
Die Rejuvenilisierung schien an Victoria Strassen nicht zu versagen: Sie schmolz eher wie ein Stück Eis in der Sonne dahin, wurde mit jedem Jahr dünner und zerbrechlicher, bis sie nur noch aus Energie statt aus Fleisch zu bestehen schien. Sie benutzte inzwischen einen Stock, und der Anblick ging Ari ans Herz. Mama wäre jetzt auch so alt. Und
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