Geld im Mittelalter
ihre »Ersatzkathedrale« sahen.
Das Tandem aus Klerus und Bürgerschaft findet sich bei der Finanzierung der Kathedrale von Lyon wieder, mit deren Bau auf älteren Gebäuderesten 1167 begonnen wurde. Aber wie an den Zuwendungen in Form von Schenkungen und Legaten abzulesen ist, waren weder die einen noch die anderen kontinuierlich und ernsthaft daran interessiert, und so zog sich die Errichtung der Kathedrale Saint-Jean bis Ende des 16. Jahrhunderts hin. Ganz anders in Straßburg, wo die Begeisterung der Bürgerschaft für ihr Münster, ein Bauwerk im gotischen Stil als Ersatz für den abgebrannten romanischen Vorgängerbau, die Bauzeit deutlich beschleunigte: Das 1253 begonnene Langhaus war 1275 vollendet, die Fassade entstand zwischen 1277 und 1298. Bei der Errichtung der Kathedrale von York in England wiederum, des York Minster, zu dessen Realisierung übrigens die Erzbischöfe das Meiste beitrugen, wechselten sich zügige Bauphasen mit Bauunterbrechungen ab.
Kraus hat außerdem noch die Erbauung der Kathedralen in Poitiers und Rouen untersucht. In Poitiers gab es seltsamerweise eine längere Bauunterbrechung zwischen 1242, als die Franzosen das Poitou einnahmen oder besser gesagt: Alfons von Poitiers dieses als Apanage von seinem Bruder Ludwig dem Heiligen belehnt bekam, und dem Tode Alfons’ im Jahr 1271. In Rouen schließlich fand der Bau der Kathedrale gleichermaßen Unterstützung durch die letzten englischen Könige vom Geschlecht der Plantagen ê t wie durch die französischen Könige Philipp II. August, Ludwig VIII. und Ludwig den Heiligen. Letzterer musste allerdings seine Zuwendungen für Kirchenneubauten aufteilen, um seiner engen Verbundenheit mit dem Erzbischof von Rouen, Eudes Rigaud, und seiner Vorliebe für die Bettelorden gleichermaßen Genüge zu tun. Die Kathedrale von Rouen wurde, wie viele Dombauten des Mittelalters, erst Ende des 15. Jahrhunderts fertiggestellt, ihr berühmter Butterturm sogar erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts, jener Turm, der mit den Ablassbriefen der Fastenzeit finanziert wurde, die genussfreudige Stadtbürger erwarben.
Neben dieser Finanzierung durch kirchliche Einkünfte und bürgerliche Stiftungen machte eine ad hoc entstandene Institution seit dem frühen 13. Jahrhundert generell eine rationale Finanzverwaltung des Kathedralenbaus möglich: die fabrique in Frankreich und die opera in Italien. Die fabrique war damit betraut, die zumeist unregelmäßigen, unterschiedlich hohen Einnahmen zu kassieren, die kontinuierliche Finanzierung des Bauprojekts zu gewährleisten und ein Budget mit der gesamten Bausumme und detaillierten Angaben zu den letzten Bauabschnitten aufzustellen. Alain Erlande-Brandenburg zufolge hatte sie »eine Steuerungsfunktion, die für den Beginn und die Fortsetzung eines derart umfangreichen Bauvorhabens unabdingbar war […]; sie musste Ordnung in Verhältnisse bringen, die wir als völlig ungeordnet bezeichnen würden«. 17 Die umfangreichste Untersuchung der opera einer italienischen Kathedrale haben Andrea Giorgi und Stefano Moscadelli 2005 vorgelegt. 18 Die opera des Doms von Siena entstand vergleichsweise früh, denn die erste bekannte Erwähnung datiert von 1190. Die eingehenden Schenkungen erfolgten im 13. Jahrhundert in Form testamentarischer Vermächtnisse und Geldspenden, doch die Haupteinnahmequelle zur Bezahlung der Arbeit der opera und des Dombaus bildete das Monopol über die Einkünfte aus dem Kerzenwachs, das der Kathedrale gestiftet oder von ihr gekauft wurde. Die Erträge daraus flossen der opera meist in Form von Geldmünzen zu. Ein Rechtstext aus dem Jahr 1262, der Constituto , legt dieses Privileg im Einzelnen fest. Schließlich legte sich die opera ab dem Ende des 13. Jahrhunderts noch Vermögenswerte zu, um die Finanzierung des Doms zu sichern, darunter Äcker und Weinberge außerhalb der Stadt, ab 1271 die Gewinne aus der Mühle des Ponte di Foiano, Wälder zur Versorgung mit Holz, einige Marmorbrüche und ab dem 14. Jahrhundert Stadthäuser, die sie in immer größerer Zahl erstand. Aus den vorliegenden Dokumenten kann man ziemlich genau ersehen, wie hoch der Anteil an den Einnahmen war, den die opera für das Tagewerk der Arbeiter und Meister aufwendete.
Neue Finanzierungsarten
Um für die neuen, beträchtlichen Investitions- und Instandhaltungskosten aufkommen zu können, erhielten die Städte im Allgemeinen die Genehmigung des Königs oder des Grundherrn, Sammlungen durchzuführen, sprich Steuern zu erheben. Zu
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