Geld im Mittelalter
überschritt, wie mir scheinen will. Diese Entwicklung erfolgte, obwohl damals die freiwillig gewählte Armut aufkam und die Armut Jesu Christi mehr denn je hervorgehoben wurde.
Jetzt schon möchte ich auf zwei Aspekte der mittelalterlichen Geldgeschichte aufmerksam machen. Erstens gab es neben den Realwährungen im Mittelalter Rechnungswährungen, mittels derer die mittelalterliche Gesellschaft, zumindest in bestimmten Kreisen, auf dem Gebiet der Rechnungsführung eine Fertigkeit erreichte, die sie in ihren Wirtschaftspraktiken vorher nicht besessen hatte. Der Abakus, das Rechenbrett des Altertums, wurde im 10. Jahrhundert zu einer Tafel mit Zahlenkolonnen aus arabischen Ziffern weiterentwickelt. Im Jahr 1202 verfasste Leonardo Fibonacci, Sohn eines Zollbeamten der Republik Pisa in Bougie (heute Bejaja, Algerien), den Liber Abaci , in dem er eine für die Buchführung wesentliche Errungenschaft einführte: die Null. Fortschritte solcher Art wurden im Mittelalter ständig erzielt, sie mündeten 1494 in der Schrift Summa de arithmetica des Franziskanermönchs Luca Pacioli, einer Enzyklopädie der Arithmetik und Mathematik, die für den Kaufmannsstand bestimmt war. Zur selben Zeit verbreiteten sich in Deutschland die Nürnberger Rechenbücher.
Weil der Geldgebrauch immer an religiöse und ethische Regeln geknüpft war, möchte ich schon jetzt einige Texte vorstellen, auf die sich die Kirche für die Beurteilung, im Bedarfsfall auch für die Zurechtweisung oder Verdammung der Geldnutzer berufen hat. Sie stehen sämtlich in der Bibel, wobei diejenigen mit der größten Wirkungskraft im mittelalterlichen lateinischen Westen zumeist den Evangelien und seltener dem Alten Testament entnommen wurden, mit Ausnahme eines Satzes, dessen Resonanz bei den Juden ebenso groß war wie bei den Christen. Es ist folgender Vers aus dem Buch Jesus Sirach (31,5): »Wer das Gold liebt, bleibt nicht ungestraft, wer dem Geld nachjagt, versündigt sich.« 4 Wir werden später sehen, wie die Juden gegen ihren Willen dazu gebracht wurden, dieses Diktum mehr oder weniger zu vernachlässigen, und wie das mittelalterliche Christentum es im Lauf seiner Entwicklung nuancierte, freilich ohne die darin angelegte pessimistische Grundhaltung gegenüber Geld verschwinden zu lassen. Für die Einstellung zum Geld waren folgende Texte aus dem Neuen Testament von besonderem Gewicht:
Matthäus 6,24: »Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.« 5
Matthäus 19,23–24: »Da sagte Jesus zu seinen Jüngern: Amen, das sage ich euch: Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« Diese Sätze finden sich auch bei den Evangelisten Markus (10,23–25) und Lukas (18,24–25).
Im Lukasevangelium (12,13–22) wird das Anhäufen von Vermögen angeprangert, insbesondere in Vers 15: »Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.« Später werden die Reichen aufgefordert: »Verkauft eure Habe und gebt den Erlös den Armen!« (12,33) Schließlich wird die im Mittelalter viel zitierte Geschichte vom bösen reichen Mann und vom armen Lazarus erzählt (16,19–31). Während der Reiche in die Hölle kommt, wird Lazarus im Paradies empfangen.
Man ahnt, welche Resonanz diese Texte im Mittelalter gefunden haben. Auch wenn der unerbittliche Ton durch Neuinterpretationen abgemildert wurde, drücken sie im Kern aus, was das gesamte Mittelalter hindurch den ökonomischen und religiösen Kontext des Geldgebrauchs bildete: Verdammung der Habgier als Todsünde, Lob der caritas und schließlich – unter dem Aspekt des Seelenheils, das für die Männer und Frauen des Mittelalters von höchster Wichtigkeit war – Verherrlichung der Armen und Darstellung der Armut als ein von Jesus Christus verkörpertes Ideal.
Wenn wir nun die Geldgeschichte des Mittelalters mit Hilfe bildlicher Zeugnisse genauer betrachten, stellen wir fest, dass die mittelalterlichen Darstellungen, in denen Geld – zumeist in symbolischer Weise – gezeigt wird, immer negativ besetzt sind. Sie lassen die Absicht erkennen, den Betrachter einzuschüchtern, um ihn die Furcht vor dem Geld zu lehren. Die häufigste Darstellung ist eine Episode aus der Lebensgeschichte
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