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Geld im Mittelalter

Geld im Mittelalter

Titel: Geld im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Le Golf
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soziale Ungleichheit zutage, wie die Menschen des 13. Jahrhunderts sie erlebten, und monetärer Reichtum nahm im Gefüge der Machtmittel der Mächtigen einen immer bedeutenderen Platz ein. Das 13. Jahrhundert war das Jahrhundert des Patriziats, der Gesamtheit der höher gestellten Familien, die einen Großteil der Macht innehatten. Die Patrizier waren zunehmend reiche Leute. Dieser Reichtum speiste sich aus drei Quellen: Die erste, die herkömmliche, war der Besitz von Land außerhalb der Stadt und von Gebäuden in der Stadt; die zweite Quelle lag für die wichtigsten unter ihnen im Handel, während die dritte sich aus ihren Privilegien und ihrer Fiskalpraxis ergab. Die reichen Stadtbürger taten ihr Möglichstes, um die Zahlung der »Bitten«, also der indirekten Steuern, zu umgehen. Für Amiens konnte errechnet werden, dass die 670 vermögendsten Einwohner, die ein Viertel der Einwohnerschaft ausmachten, noch nicht einmal ein Achtel der Weinsteuer zahlten. Auch fand das Thema Geld vermehrt Eingang in juridische Abhandlungen, deren Zahl im Laufe des 13. Jahrhunderts stetig zunahm, zu einer Zeit also, als das römische Recht eine Renaissance erlebte, das kanonische Recht sich etablierte und das Sittenrecht schriftlich niedergelegt wurde. Im Kapitel L »Über die Leute der guten Städte« aus dem 1283 vollendeten Werk Coutumes du comté de Clermont-en-Beauvaisis des königlichen Bailli Philippe de Beaumanoir ist zu lesen: »In den Städten gibt es viele Konflikte wegen der taille , zumal die Reichen, die die städtischen Regierungsgeschäfte leiten, oft weniger angeben, als sie und ihre Familien schuldig sind, und die anderen reichen Bürger mit den gleichen Vorteilen bedenken, sodass die ganze Last von den armen Leuten getragen wird.«
    Es wurde einmal gesagt, die Finanzen seien »das Sprunggelenk der Stadtgemeinden gewesen. Als Stadtherren lernten die Bürger, zumeist Händler und Finanziers, im Laufe jenes 13. Jahrhunderts, welches auch das Jahrhundert der Einführung der Zahl und der Arithmetik war, genau zu rechnen«. Und auch richtig reich zu werden, indem sie den Geldumlauf nutzten und förderten.
    Aber noch kann man nicht wirklich von »Reichen« im engeren Sinn sprechen, und noch weniger – wie ich unten noch zeigen werde – von Kapitalisten. Diese Leute sind nach wie vor »Mächtige«, wie auch die italienischen Kaufmannsbankiers, die insbesondere Armando Sapori und Yves Renouard untersucht haben. Ich werde ein berühmtes Beispiel anführen, über das Georges Espinas ein Standardwerk verfasst hat, allerdings nach meinem Dafürhalten mit einem anachronistischen Titel: Les Origines du capitalisme [Die Ursprünge des Kapitalismus]. Es geht um einen Tuchhändler im späten 13. Jahrhundert namens Sire Jehan Boinebroke aus Douai. Der Autor stellt vor allem auf die Macht ab, die dieser Mann über die kleinen Leute der Stadt ausübt und die zweifellos darin begründet liegt, dass er Geld hat, dieses verleiht und von seinen Schuldnern die Rückzahlung der Schulden vor der Fälligkeit fordert. Doch seine Macht gründet auf anderen Dingen. Er gibt Arbeit, indem er auf eigene Rechnung Arbeiter und Arbeiterinnen an seinem Wohnsitz oder bei diesen zu Hause beschäftigt, allerdings »zahlt er wenig, schlecht oder gar nicht«, weil er noch Tauschhandel (truck system) betreibt und in Sachwerten entlohnt, was wiederum beweist, dass das ökonomische und soziale Leben noch nicht vollständig monetarisiert ist. Außerdem besitzt er zahlreiche Quartiere, in denen er seine Arbeiter, Kunden und Lieferanten unterbringt, was ihre Bindung an ihn verstärkt. Man konnte feststellen, dass in einer Stadt wie Lübeck, ein im 12. Jahrhundert gegründetes bedeutendes Zentrum der Hanse, die Wirtschaftsbauten wie Kornspeicher, Lagerhäuser, Backöfen und Marktanlagen einigen wenigen großen Kaufleuten gehörten. Rücksichtslos verfügt Boinebroke am Ende über die politische Macht und die daraus erwachsende Stärke. Die Entstehung einer Arbeiterschaft und die zunehmende Bedeutung des Geldes in den Städten ist einer der Hauptgründe für die etwa ab 1280 ausbrechenden Streiks und Aufstände. Genau in jenem Jahr lässt Jehan Boinebroke, der Schöffe ist, zusammen mit seinen Kollegen, die derselben Gesellschaftsschicht angehören wie er, »mit brutaler Gewalt« einen revolutionären Streik der Weber niederschlagen.
    Vom Ende des 12. Jahrhunderts an ist bei Stadtbewohnern ein immer stärker ausgeprägtes Bewusstsein für den Wert des Faktors

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