Geld im Mittelalter
handwerkliche Produktion, im Textilbereich sogar in einem fast industriellen Ausmaß. Sie bildeten ein weites Netz von Handelsbeziehungen, in dem zugleich das Geld zirkulierte. Es handelt sich, um nur die reichsten zu nennen, um Arras, Ypern, Gent, Brügge (die mächtigste), Hamburg, Lübeck (gegr. 1158), Riga (gegr. 1201) und Stockholm (gegr. um 1251). Hinzuzufügen für England wäre außerdem London, das nach dem Beitritt zur Hanse zum bedeutenden Handelsplatz aufstieg. Die andere tonangebende Region war Oberitalien und, weiter gefasst, der gesamte Mittelmeerraum. Hier sind die großen Zentren Mailand, Venedig, Genua, Pisa, Florenz und in zweiter Linie Cremona, Piacenza, Pavia, Asti, Siena und Lucca. Genua war unter anderem Umschlagplatz und Großmarkt für Sklaven, die entweder die Katalanen und Mallorquiner im Zuge der spanischen Reconquista oder die Territorien rund um das Schwarze Meer lieferten. Es geschah übrigens über das Schwarze Meer, genauer von der Hafenstadt Kaffa auf der Krim aus, dass ein Genueser Schiff 1347 die Beulenpest ins lateinische Europa brachte. In Venedig gab es seit dem 13. Jahrhundert eine regelrechte Glasindustrie, die sich auf der Insel Murano niedergelassen hatte.
Hinzu kamen noch die erblühenden Städte an der Atlantikküste, insbesondere La Rochelle, das sich 1224 der französische König einverleibte, und Bordeaux, wo nach der Festigung des englischen Herrschaftsgebiets im französischen Südwesten der Weinhandel zunahm und dort für eine neue Prosperität sorgte. England ließ sich nicht nur mit Bordeauxweinen beliefern, auch die Weine aus dem Poitou, die im Hafen von La Rochelle verladen wurden, waren begehrt und wurden gern getrunken. Im Jahr 1177 gingen vor der Küste von Saint-Valéry-sur-Somme im Ärmelkanal 30 Schiffe mit einer Lieferung Poitou-Wein für England unter.
Im Unterschied zu den ländlichen Gebieten, die nach dem 12. Jahrhundert keine nennenswerten Fortschritte verzeichneten, 12 waren die Städte die Zentren einer vielfältigen Dynamik, einer Dynamik der Arbeit dank technischer Errungenschaften, die die Energie der Mühlen für die Metallbearbeitung, das Gerben von Leder und sogar für das Brauen von Bier nutzten; auch einer sozialen Dynamik, die die Kaufleute, die Geschäfte machten und Arbeiter beschäftigten, zu Stadtherren erhob – außer vielleicht in Italien, wo die Grundherren häufig in den Städten wohnen blieben. Als die neuen Herren profitierten sie von der Propagierung einer neuen Sichtweise der Arbeit – Arbeit wurde nicht mehr wie ehedem als Strafe Gottes infolge der Erbsünde aufgefasst, auch wenn körperliche Arbeit nach wie vor meist negativ konnotiert blieb –, und zwangen ihrer Umgebung eine neue ökonomische und soziale Dynamik auf. Der Aufschwung der Städte war denn auch einer der wichtigsten Gründe für die Expansion des Münzgeldes oder besser gesagt unterschiedlicher Münzsorten, denn man darf nicht vergessen, dass es im 12. und 13. Jahrhundert noch keinen Geldmarkt gab und die Verwendung einer bestimmten Geldmünze noch nicht mit einem Identitätsgefühl verbunden war.
Der Bedarf an Münzgeld
Die Zunahme des Geldgebrauchs war zwar hauptsächlich mit dem Fortschritt in den Städten verbunden, machte aber an ihren Grenzen nicht Halt. Das galt für Tuche und Textilwaren, die eine bedeutende Kauf-, Verkaufs- und Tauschtätigkeit mit sich brachten, auch mit dem nichtchristlichen Orient. Sie waren fast der einzige Sektor, der einen nahezu industriellen Fertigungsgrad erreichte und den Umlauf des Geldes intensivierte, welches sich in den Händen der Tuchhändler konzentrierte, die besonders in Flandern und im Hennegau glänzende Geschäfte machten; gleichwohl war ein Teil der Textilarbeit, die meist noch von Einzelnen verrichtet wurde, aber von den großen technischen Neuerungen des Webstuhls profitierte, auf dem Land angesiedelt. Eine berühmte Passage aus dem Roman Érec et Éneid (um 1170) von Chrétien de Troyes, in der die Erschöpfung der Arbeiterinnen in einer Seidenwerkstatt im Schloss eines Grundherrn geschildert wird, legt nahe – ihren Wirklichkeitsbezug vorausgesetzt –, dass sogar in Burgen und Schlössern Textilien gefertigt wurden. Was für den Textilbereich galt, lässt sich auch auf das Baugewerbe übertragen. Infolge der Bautätigkeit ging die Verwendung von Holz als Baustoff zugunsten von Stein und Metall zurück. Der Stein von Caen beispielsweise war vom 11. bis zum 15. Jahrhundert ein so gefragter Baustoff,
Weitere Kostenlose Bücher