Gelegenheit macht Diebe - Nicht alles, was schwul ist, glänzt (German Edition)
von seinem Charme. Aber wo war er? Hatte der mich wirklich da einfach so sitzen lassen? Große Ratlosigkeit machte sich in mir breit. Ich konnte nur Vermutungen anstellen, aber das, was ich vermutete, wollte ich nicht wahrhaben.
Es hätte ja durchaus auch sein können , dass mein plötzlicher Umfaller gar nichts mit ihm zu tun gehabt hatte oder dass es keine Absicht gewesen war, aber wo war er dann jetzt? Und warum saß ich auf der Straße? Wenn es echt nur aus Versehen passiert wäre, hätte er doch sicher bei mir gewartet, bis ich wieder zu mir gekommen wäre, oder hätte mich wenigstens zum Arzt gebracht, oder einen Notarzt kommen lassen oder so. Aber er war einfach abgehauen ... Bestimmt sollte ich umkippen, das war bestimmt pure Absicht.
Plötzlich machte sich ein ganz anderer Schrecken in mir breit. „Oh nein!“ Mir fiel der Umschlag wieder ein, den ich für Andrea einwe rfen sollte. Schnell tastete ich über die Bauchtasche an meinem Pullover und atmete erleichtert auf. Den hatte ich zum Glück nicht verloren. Einen Moment lang hatte ich wirklich Angst gehabt, Marco könnte ihn geklaut haben ... Schande über mich! Wenn er wirklich Interesse an so einer blöden CD gehabt hätte – von der er nicht mal wusste, dass ich sie bei mir hatte –, hätte er sie mir bestimmt einfach weggerissen und wäre weggelaufen, er war eh tausendmal schneller als ich. Aber es sollte ja auch schon vorgekommen sein, dass man Omas für zehn Euro umgebracht hatte ... und wenn er jetzt gedacht hätte, auf der CD wäre irgendwas, was ihm von Nutzen sein könnte ... Ach, was rede ich da, die CD hatte ich jedenfalls noch. Wenn ich auch Marco schon wieder verloren hatte ... und meine Würde. Aber wenigstens konnte ich den Umschlag endlich an seinen Bestimmungsort bringen. Nun hielt mich zum Glück auch nichts mehr davon ab.
Total erledigt und einfach nur noch froh, das Ding in den Schlitz des Postkastens geworfen zu haben, machte ich mich auf den Heimweg. Die Spaghetti ha tte ich mittlerweile völlig vergessen, aber Hunger hatte ich eh keinen mehr. Zu Hause rannte ich Andrea einfach nur noch in die Arme und erzählte ihr völlig aufgelöst, was passiert war.
Nach diesem Tag hatte ich Marco nicht mehr gesehen. Die ersten Tage, was sag ich, die ersten Wochen war mir das auch relativ egal. Ich hatte es satt, von ihm so behandelt zu werden, und ich war es leid, immer und immer wieder das gleiche Szenario zu durchleben. Allerdings kam es dann hin und wieder doch mal vor, dass ich mich dabei erwischte, wie ich an ihn dachte. Dann, wenn mir die Momente wieder durch den Kopf gingen, in denen er mich berührt oder was total Liebes gesagt hatte, oder wenn ich von ihm geträumt hatte, kullerten ein paar Tränchen und ich wünschte mir, er würde mir nochmal über den Weg laufen.
Nicht selten, und auch schon kurz nac hdem ich ihn das letzte Mal getroffen hatte, stieg in mir das Adrenalin hoch, wenn ich mich einer Seitenstraße näherte. Ich schaute jedes Mal schon fast automatisch vorsichtig um die Ecke um zu sehen, ob er da war.
Leider hatte das Ganze auch ein paar größere Spuren bei mir hinterlassen. Einer der hartnäckigsten Ticks wurde, dass wenn Andrea und ich zu einer Reinigung in eine größere Nachbarstadt fuhren, ich darauf bestand, in einem ganz bestimmten Parkhaus zu parken. Von dort aus führte der Weg zur Reinigung nämlich durch Straßen und Unterführungen, die sich für mich irgendwie nach Marco anfühlten. Ich gab nie eher Ruhe, bis ich meinen Willen durchgesetzt hatte, obwohl das Parkhaus um einiges teurer war als das, in dem Andrea normalerweise parkte.
Diese ganz bestimmte Ecke erinnerte ein bisschen an die Bronx in New York. So eine Gegend stellte ich mir als den idealen Ort für jegliche Art von Verbrechern vor. Der Putz oder die Klinkersteine an den Fassaden der Häuser waren bröck elig, die Straßen verdreckt und viele Fenster kaputt oder provisorisch mit Pappe repariert. Und wenn es dunkel wurde, bekam das Ganze noch ein ganz besonderes Flair.
Dazu kam, dass ich jedes Mal, wenn ich von irgendwo die Sirene eines Polizeiautos hörte, mir vorstellte, wie er nachts durch die Straßen einer Großstadt gejagt würde. Da bekam ich jedes Mal Gänsehaut.
Das Seltsame war aber, dass ich Marco hier eigentlich gar nicht erwartete zu sehen. Ich stellte mir nur zu g erne vor, wie er sich hier wohl aufhalten würde und wie er mit Leuten redete, mit denen er in irgendwas verwickelt wäre. Ich hatte ja keine Ahnung,
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