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Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Sander
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Meine derzeitige Situation. Ich sah in die Kaffeetasse. Hatte sie mir ein Quäntchen Zungenlöser hineingemischt? Sonst war ich nie so gesprächig.
    Sie betrachtete mich wie eine frisch ersteigerte Neuerwerbung und rückte sich zurecht. Plötzlich fiel ihr Sweater auseinander und gab ein Trikot frei, das sich wie eine zweite Haut an ihren Oberkörper schmiegte. Kein BH.
    Mitten im Wort versiegte mein Redefluss. Ich wagte kaum, zu atmen. Cinemascope.
    Sie strich unschuldig lächelnd eine Haarsträhne aus der Stirn und genoss den erzielten Effekt.
    Ich spürte ein Kribbeln. Durch ein offenes Fenster irgendwo im Haus drangen Vogelstimmen. Aus dem Wintergarten war leises Brunnengeplätscher zu hören. Eine Uhr tickte. Es würde mich nicht wundern, wenn draußen schon zehn Jahre vergangen wären.
    Verdammt, der Salsa-Abend. Ich tauchte aus meinem Trancezustand auf und sah auf die Uhr. Fast sechs. Ich musste mich noch umziehen. Bettina stand vermutlich schon vor meiner Wohnung und wunderte sich, wo ich blieb. Ich seufzte und trank den Kaffee aus. End-of-text-Signal.
    Elisabeth Mohntaler verstand. Wir erhoben uns.
    »Ich möchte mich fürs Vorbeibringen bedanken«, sagte sie. »Haben Sie am Samstag Zeit?« Sie legte ihre Hand sacht auf meinen Oberarm und sah mich an. »Darf ich Sie ins Theater einladen?« Ihr Atem roch nach Minze. »Als kleine Belohnung?«
    Auf diese Weise durfte sie mich auch zum Zahnarzt einladen. »Gern«, brachte ich heraus. »Das wäre nett.«
    »Ich rufe Sie noch an«, sagte sie mit einem Glimmen in den Augen.
    »Ich freue mich«, sagte ich. Theater. Naja.
    Sie begleitete mich zur Tür.

    *

    »Die Sitzerei in der Versicherung hat dich nicht gerade geschmeidiger gemacht«, nörgelte Bettina und zerrte mich an sich, weil ich wieder aus dem Takt geraten war.
    »Schließlich bin ich ja auch Anfänger.« Ich versuchte die dröhnenden Salsa-Rhythmen zu übertönen und mich an die Schrittfolge zu erinnern. Ihr eigens für die Gelegenheit angeschafftes Röckchen tat ein Übriges, mich zu verwirren. Die Ärmel meines taillierten weißen Hemds hatte ich aufgekrempelt, mein Jackett lag auf einer kleinen Bank an der Wand. Schmutzstreifen überzogen meine schwarzen Lederschuhe an den Stellen, wo mir Bettina draufgetreten war.
    Ein Salsa-Club hatte die Veranstaltung in einer Tanzschule organisiert. Komplett mit Mojito-Bar und kubanischen Stimmungsmacherinnen. Außer uns tummelten sich noch fünf andere Pärchen im selben Altersspektrum auf dem Parkett. Der Rest war schon zu den Drinks abgewandert. Die männlichen Hälften blickten mit fortschreitendem Abend zunehmend verzweifelter um sich. Unsere Instruktorin beobachtete das konfuse Treiben und griff ein, wo es nötig war. Der ehrwürdige Tanzschulsaal war mit einer Schiebewand geteilt, die bis zur stuckverzierten Decke reichte. Auf der anderen Seite schwitzten die Fortgeschrittenen. Würzige, kühle Nachtluft drang durch zwei geöffnete Flügel der alten Holzfenster und verdünnte die geballten Parfumwolken. Dunkle Gartengewächse wiegten sich draußen im Viervierteltakt.
    Tanzschulanrainerproteste müssten rein statistisch häufiger vorkommen als Widerstände gegen Startbahnerweiterungen, überlegte ich.
    Eine stämmige Frau in einem kurzen roten Kleid winkte mir zu. Ich winkte zurück und lächelte verbindlich, während ich in meinen Erinnerungen wühlte. Kannte ich die? Ich sah noch einmal zu ihr. Rita? Das war schon einige Jahre her. Damals war sie rank und schlank gewesen.
    »Wer war denn das?«, fragte Bettina spitz.
    »Eine Bekannte aus meiner Linzer Kripozeit«, sagte ich. Rückwärtsmetamorphose. Vom zarten Schmetterling zur Raupe.
    »Eine Bauchtänzerin?«, sagte Bettina zu laut.
    Den Rest der Nummer sandte uns Rita Todesblicke. Ihr Partner bekam von alledem nichts mit und bemühte sich redlich.
    In der Pause strömten auch die restlichen Tänzer ein Stockwerk tiefer an die Bar. Ich war ausgedörrt und orderte Orangensaft mit Mineralwasser. Die anderen Salsa-Tänzerinnen sahen sich grimmig nach besseren Tanzpartnern um und Bettina hielt mich stolz fest.
    »Ach, jetzt bin ich dir wieder elastisch genug, wie?«, bemerkte ich und drehte uns etwas, damit so viele wie möglich die tolle Frau an meiner Seite sehen konnten.
    Sie boxte mich in die Schulter. »Niemand elastischer als du, Latin Lover.« Bettina betrachtete aufmerksam die Menge. »Ist das nicht Poldi?«
    Ich folgte ihren Blicken. Groß, schlank, lichtes Haar. Tatsächlich. Poldi Bauer. In einem

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