Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Sander
Vom Netzwerk:
und Pfefferstreuer und Maggi Suppenwürze. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal Maggi gesehen hatte. Vor den Fenstern hingen grobmaschige Netzvorhänge, die ursprünglich weiß gewesen sein mochten. An der anderen Straßenseite konnte ich ein Hafenbecken sehen. Im Gastgarten zerrte ein Mann leere Plastikkanister aus einem Bretterverschlag und warf sie auf einen Haufen. Auf den Etiketten stand »Punsch – trinkfertig«.
    Die Kellnerin fragte mich nach meinen Wünschen. Akzent. Tschechin, dachte ich. Lohnkosten. Ende dreißig, groß und knochig. Bluse, Rock, weiße Schürze. Fersenfreie Kellnerstiefel aus derselben Ära wie Maggi.
    Ich bestellte ein Gulasch.
    Als sie beim Dicken vorbeiging, sagte sie: »Magst noch Achterl, Helmut?«
    »Ein Vierterl«, korrigierte Helmut.
    Das Gulasch war ausgezeichnet.
    »Hat geschmeckt?«, fragte die Kellnerin, als sie abservierte.
    »Ja, sehr gut, vielen Dank«, sagte ich. Auf dem Tresen stand eine große rote Espressomaschine mit einem Bohnenvorratsbehälter daneben. Ich riskierte es. »Einen Verlängerten bitte.« Als sie den Kaffee brachte, fragte ich, ob Michaela da sei.
    »Wer ist Michaela?«
    »Hat sie heute frei?«, sagte ich unschuldig.
    »Ich kenne nicht Michaela. Bin ich seit einem Jahr da. Leider.« Sie sprach langsam und deutlich. Dem Tonfall nach bedauerte sie beide Umstände. »Vor mir war Ilona hier beschäftigt.«
    »Vielleicht kennt sie Ihr Kollege an der Bar.« Ich zeigte in Richtung Kaffeemaschine.
    »War Wladi da. Auch weg. Niemand  … « Sie unterbrach sich und suchte das Wort. »Kein Ersatz«, sagte sie schließlich. »Nur ich.«
    »Kennen Sie einen Richter Franz?« Ich zeigte ihr Richters Foto, das ich so gefaltet hatte, dass es nicht offensichtlich war, dass es sich um ein Totenbild handelte.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie und betrachtete das Foto. »Nein. Polizei?«, fragte sie unbefangen und sah mich an.
    »Ein Freund von früher«, sagte ich vage. »Danke.« Auf dem runden Untersetzer stand »Cerul Kaffee«. Ich nippte versuchsweise und stellte die Tasse schnell wieder hin. Widerwillig schluckte ich und wartete darauf, dass meine Magenwände zerstört wurden. Dafür würde ich Gefahrenzulage verrechnen.
    »Wenn ich das gewusst hätte  … «, sagte Helmut weinerlich vor sich hin. Es klang wie ein einziges Wort. Er nahm einen langen Schluck Rotwein und nestelte ungeschickt an einer zerknautschten Zigarettenpackung. » …  hätte ich sie ja nie geheiratet.«
    Ich bezahlte, gab zu viel Trinkgeld und ging.

    *

    Mit jedem Auftreffen meiner Laufschuhe auf der federnden schwarzen Erde des Wanderwegs trat das Gulasch ein wenig mehr in den Hintergrund. Neben mir plätscherte und gluckste der Rauschelbach gemächlich seine vielen Windungen entlang. Es roch nach Tannennadeln und Flusswasser. An Stellen, wo das glasklare Wasser ruhiger war, konnte ich manchmal schlanke schwarze Fische ausmachen, die mühelos im Strom stillstanden.
    Ich trug Shorts und ein altes T-Shirt. Reinigender Schweiß lief, meine Muskeln waren warm und ich fühlte mich, als könnte ich endlos so dahinlaufen. Bettinas Sticheleien in Bezug auf etwaige körperliche Unzulänglichkeiten würde ich konsequent die Grundlage entziehen. Ich war zwar noch kein völliges Wrack, aber seit meinem Abschied von der Polizei war das Interesse an Sport stark gesunken. Das änderte ich gerade rapide. Ich hob meine Beine höher und durchquerte mit kurzen Schritten ein breites Labyrinth aus knorrigen Luftwurzeln. Glitzernder weicher Flusssand vom letzten Hochwasser bedeckte den Boden darunter.
    Das Tal war mit Findlingen übersät. Zwischen den Bäumen und im Bach lagen Dutzende dieser tonnenschweren Felsbrocken, bedeckt mit tiefgrünem Moos, der Eiszeit aus der Tasche gepurzelt.
    Bequemerweise fanden sich an jeder markanten Wegstelle kleine, an Bäume genagelte Täfelchen, auf denen die jeweilige Distanz verzeichnet war. Ich folgte der Route P2, auf der ich mich ganz dem wohltuenden Einfluss des Waldbodenduftes, der durch die Blätter scheinenden Sonne und den gelegentlichen Begegnungen mit neugierigen Joggerinnen überließ.
    Am Fuße einer steilen Wand aus aufgetürmten Felsen lag ein einzelner lastwagengroßer Findling. Obendrauf stand ein hoher Baum, der sich mit armdicken Wurzeln festhielt wie ein Kleinkind im Haar seines Vaters. Als wäre er kurz hinaufgestiegen, um besser sehen zu können.
    Ich verließ den Weg und stapfte durchs lange Gras darauf zu. Sanfter Modergeruch wechselte

Weitere Kostenlose Bücher