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Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Sander
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warme Brise trug das Wimmern von Druckluftschraubern, Gehämmer und Benzindämpfe durch die offenen Werkstatttore zu uns.
    Frau Amras betrachtete meinen Toyota etwas länger als nötig.
    »Hat mich nie im Stich gelassen«, verteidigte ich ihn. »Dreihundertfünfzigtausend Kilometer.«
    »Gestern war die Verlassenschaftsabhandlung«, überging sie meine Bemerkung.
    Vermutlich dachte sie, ich sollte meinen Wagen gleich hier lassen.
    »Mein Bruder wird das Auto verkaufen, das Geld wird aufgeteilt. Ich soll alle persönlichen Dinge ausräumen, aber ich wollte nichts anrühren, bevor Sie es nicht durchsucht haben.«
    »Gute Idee. Vielen Dank«, beglückwünschte ich sie. »Hatte Ihr Vater ein Handy?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Almuth Amras.
    Falls ja, hatten es vermutlich die Wohnungsausräumer schon entsorgt. Oder ihr Bruder.
    Ich ging um das Auto herum. Keine Beschädigungen. Die Scheiben funkelten, der Innenraum war staubfrei. Kein Müll, keine persönlichen Dinge in Sicht. Ich setzte mich auf den Fahrersitz. Es roch nach Leder und Autopflegemitteln. Der Tachometer zeigte sechzigtausend Kilometer an. Ich schaltete das Radio ein. Regionalsender mit Volksmusik. Keine CD eingelegt. Keine SD-Karte. Der Anschluss für den USB-Stick leer. Und jetzt das Navi. Immer höchst aufschlussreich. Ich sah auf dem Display, dass die letzte Fahrt von Richters Wohnhaus bis hierher geführt hatte. Sonst waren keine Routen vorhanden. Richter musste den Speicher gelöscht haben. Enttäuschend.
    Im Handschuhfach zwei ungeöffnete Packungen Taschentücher, eine Uhr aus Pappe für die Kurzparkzonen und der Zulassungsschein. Das Fahrzeug war vor nicht ganz einem Jahr angemeldet worden. Als Besitzer war Richter selbst eingetragen, keine Leasingfirma. Ich kramte weiter. Doch noch Müll. Eine abgerissene Serviette mit Werbeaufdruck. Halber Anker, Sonntag Ruhetag. Jemand hatte mit blauem Kugelschreiber »Michaela« daraufgeschrieben.
    Die, die ihm sein Geld brachte, wie Enrico erzählt hatte? Ich lehnte mich im komfortablen Sitz zurück und sah Almuth Amras beim Telefonieren zu. Während sie sprach, blickte sie auf den Boden und zeichnete mit einem Fuß Linien auf den Asphalt. Der Rest des Autos war praktisch keimfrei und barg nichts von Interesse. Ich gesellte mich wieder zu meiner Auftraggeberin.
    »Haben Sie etwas gefunden?«, fragte sie und klappte ihr Telefon zu.
    »Das hier.« Ich zeigte ihr die Serviette. »Sonst nichts. Ist das die Handschrift Ihres Vaters?«
    Sie starrte kurz darauf, verzog den Mund zu einem traurigen Lächeln und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Kennen Sie jemand namens Michaela? Vielleicht eine Freundin?«
    »Nein.« Sie überlegte. »Niemanden. Beim Notar sind auch nur ich und mein Bruder gewesen.«
    »Wie hoch ist die Erbschaft?«, fragte ich.
    »Ungefähr zwanzigtausend Euro. Und dieses Auto. Finanziell schien es ihm gutzugehen.«
    »Was machte Ihr Vater eigentlich beruflich?«
    »Er war Verkäufer in einem Farbengeschäft und ging dann in Pension.«
    Ein Haufen Kohle und das Fünfzigtausendeuromobil hier. Für einen pensionierten Farbenverkäufer nicht schlecht. Das passte nicht recht zusammen. Warum hatte er den Navispeicher gelöscht?
    Ich versprach, sie auf dem Laufenden zu halten und verabschiedete mich.

    *

    Der Halbe Anker war ein Wirtshaus im Hafen von Linz. Auf einer über der Tür schaukelnden Tafel war tatsächlich ein zerbrochener Anker abgebildet. Zwei uralte Kastanien ragten über das schon etwas heruntergekommene Gebäude und beschatteten den Gastgarten. Dahinter befand sich der Posthof, ein alter Vierkantbauernhof, der renoviert worden und zum Veranstaltungszentrum mutiert war. Rundum waren hässliche Betonklötze herangerückt und sahen auf diese Enklave der Beständigkeit herab.
    Ich setzte mich an einen freien Tisch. Weil ich ohnehin hungrig war, verband ich Arbeit und Nahrungsaufnahme. Knapp elf. Noch keine Mittagskundschaft da. Nur zwei bullige Arbeiter in schmutzigen Overalls, die Helme ordentlich auf der Hutablage der Garderobe deponiert. Keine Haftung. Es roch nach angebranntem Käse und dem Aroma von Klosteinen.
    Ein dicker kleiner Mann hielt sich an der Schank fest. Wie ein vor Anker liegendes Schiff. Vor ihm stand ein leeres Weinglas. Ab und zu summte er Melodiebruchstücke.
    Dunkel gemaserte Eichentische. Bänke und Sessel, in deren Lehnen Herze ausgeschnitten waren. Auf dem zu kleinen, rot-weiß karierten Tischtuch stand ein Gestell mit Bierdeckeln, Salz-

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