Geliebte der Nacht
genau zu sein, hatte ich erwartet, dass sie dir gehört.“
Gott, er kannte diese Stimme, tief begraben in seiner Erinnerung.
Tief in seiner Vergangenheit.
Ein Name drang ihm ins Gedächtnis, so scharf wie eine Klinge.
Nein. Er konnte es nicht sein.
Unmöglich …
Er schüttelte seine Verwirrung ab, aber seine mangelnde Konzentration rächte sich sofort. Ein Rogue war aus dem Inneren des Gebäudes auf das Dach der Nervenheilanstalt gekommen und hatte sich unbemerkt von der Seite an ihn herangeschlichen. Mit einem Knurren packte er die Hubschraubertür und stieß sie mit dem Rand gegen Lucans Schädel.
„Lucan!“, schrie Gabrielle. „Nein!“
Er taumelte, und seine Knie gaben unter ihm nach. Seine Waffe fiel ihm aus der Hand. Sie rutschte über die raue Oberfläche des Daches, mehrere Meter außer Reichweite.
Der Rogue verpasste Lucan mit seiner riesigen Faust einen Schlag gegen den Kiefer. Eine Sekunde später traf ihn ein brutaler Fußtritt in die Rippen. Lucan ging zu Boden, aber er holte mit seinem Stiefel aus und ließ das Bein seines Angreifers unter ihm einknicken. Er stürzte sich auf den Rogue, tastete mit einer Hand nach der Stichwaffe, die er sich in einer Scheide um den Körper geschnallt hatte.
Etwa einen Meter entfernt begannen die Rotoren des Hubschraubers sich schneller zu drehen. Der Pilot bereitete sich darauf vor, wieder abzuheben. Das konnte Lucan nicht zulassen. Wenn er Gabrielle von diesem Dach abfliegen lassen würde, dann bestand für ihn keine Hoffnung mehr, sie je lebend wiederzusehen.
„Bring uns hier raus“, befahl Gabrielles Entführer seinem Piloten, als die Rotoren des Helikopters sich immer schneller drehten.
Draußen auf dem Dach kämpfte Lucan gegen den Rogue, der heraufgekommen war und ihn angegriffen hatte. Durch die Dunkelheit erhaschte Gabrielle einen Blick auf einen weiteren Kerl, der durch eine Dachluke der Nervenheilanstalt heraufkam.
„Oh nein“, flüsterte sie. Durch die Stahlschneide, die in ihre Kehle drückte, konnte sie kaum sprechen.
Der große Mann neben ihr beugte sich vor, um zu sehen, was auf dem Dach passierte. Lucan war auf die Beine gekommen. Er zerteilte den ersten Rogue, der über ihn hergefallen war, und schlitzte ihm den Bauch auf. Der Schrei des Rogue übertönte sogar das laute Dröhnen der Hubschrauberrotoren. Und sein Körper begann sich zu krümmen, sich zu verkrampfen … zu schmelzen.
Lucan wandte den Kopf zu dem Helikopter. Wut brannte in seinen Augen; sie wirkten wie zwei glühende Kohlen, die von Höllenfeuer erleuchtet wurden. Er machte brüllend einen Satz nach vorn, die Schultern zusammengezogen, und ging mit der Wucht eines Güterzuges auf den Hubschrauber los.
„Bring uns jetzt sofort hier raus!“, brüllte der Mann neben Gabrielle, und zum ersten Mal hörte sie in seiner Stimme wahre Besorgnis. „Jetzt sofort, verdammt noch mal!“
Der Helikopter begann aufzusteigen.
Gabrielle versuchte sich der scharfen Klinge zu entziehen, indem sie ihre Wirbelsäule gegen die Lehne des kleinen Rücksitzes presste. Wenn sie nur einen Weg finden könnte, den Arm dieses Kerls wegzuschlagen, dann wäre sie vielleicht imstande, die Cockpittür zu erreichen …
Plötzlich ging ein Ruck durch den Hubschrauber, als ob er an irgendeinem Teil des Gebäudes hängen geblieben wäre. Der Motor heulte angestrengt auf.
Gabrielles Entführer schäumte nun vor Wut. „Heb ab, du Idiot!“
„Ich versuche es, Sire!“, entgegnete der Lakai an der Steuerung. Er zog einen Hebel, und der Motor protestierte mit einem schrecklichen Stöhnen.
Von draußen gab es einen neuen Ruck, ein hartes Ziehen nach unten, das alles im Innenraum des Helikopters zum Klirren brachte. Der Helikopter schlingerte nach vorn. Gabrielles Entführer rutschte vom Sitz und war für einen kurzen Moment unaufmerksam.
Die Klinge glitt von ihrem Hals weg.
Entschlossen warf sich Gabrielle nach hinten, trat mit beiden Beinen nach dem Vampir und schleuderte ihn gegen die Lehne des Pilotensitzes. Der Helikopter neigte sich dramatisch nach vom. Gabrielle versuchte fieberhaft, den Türriegel des Cockpits zu erreichen.
Die Tür schwang weit auf, der gesamte Innenraum bebte und wackelte. Gabrielles Entführer richtete sich auf und wollte sie erneut packen. Seine Sonnenbrille war ihm in dem Durcheinander von der Nase gefallen, und er blickte sie mit eisgrauen, boshaften Augen an.
„Sagen Sie Lucan, diese Sache ist noch lange nicht vorbei“, befahl ihr der Anführer der Rogues.
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