Geliebte Feindin
diesen Brief aus der Hand gerissen hast. Du willst ihn nicht abschicken, stimmt’s?«
»Der Brief ist in meiner Tasche«, erklärte Caine. »Ich hab’ ihn dir weggenommen, weil ich ihn lesen wollte.«
»Caine, das ist indiskret … was steht drin?« rief Jade.
»Genau, was Sara gesagt hat. Sie hat um eine Unterredung gebeten, weil sie über den Ehevertrag sprechen möchte.«
»Ich vermute, daß der Junge schon einen Plan geschmiedet hat«, brummte Jimbo.
»Ja.« Caine stand auf. »Ich habe noch ein paar Dinge zu tun und muß mit Sir Richards sprechen. Jade, ich komme heute spät nach Hause.«
Zum erstenmal seit langem dachte Sara nicht an Nathan, als sie die kleine Olivia in den Armen hielt. Sie war so ein hübsches Kind – in einer Sekunde lächelte sie bezaubernd, und in der anderen schrie sie wie am Spieß.
Sterns stand an Saras Seite und paßte auf, daß seinem kleinen Liebling nichts passierte.
»Ich fürchte, die Kleine hat ihre laute Stimme von ihrem Onkel Nathan geerbt«, sagte Sterns mit einem Lächeln und nahm Olivia wieder an sich. »Sollen wir nach deiner Mama suchen, mein kleiner Engel?« flüsterte er.
Sara zögerte, in ihr Zimmer zu gehen. Sie fühlte sich entsetzlich einsam, und sie wußte, daß ihr Kummer sie wieder überwältigen würde.
Sie ging früh zu Bett und schlief erschöpft vom vielen Weinen und Grübeln ein. Am Morgen erinnerte sie sich vage daran, daß sie sich an ihren Mann geschmiegt hatte, und sie fühlte, als sie die Augen öffnete, daß das Bett auf der einen Seite von seiner Körperwärme noch ganz warm war. Er war offenbar zu wütend auf sie gewesen, um sie zu wecken. Er glaubte immer noch, daß sie ihn verraten hatte.
Dieser Gedanke ärgerte sie, und als sie ihr Bad beendet hatte, war sie richtig in Rage.
Sie saß den ganzen Vormittag in ihrem Zimmer und wartete auf die Einladung des Prinzregenten; sie nahm kein Mittagessen und verbrachte die meiste Zeit des Nachmittags damit, in ihrem Zimmer auf und ab zu gehen und über nächste Schritte nachzudenken. Sie war sehr böse, daß der Prinzregent ihre dringende Anfrage ignoriert hatte, und sie mußte Caine recht geben. Er war wirklich nur an seinen eigenen Angelegenheiten interessiert.
Caines Klopfen riß sie aus ihren düsteren Gedanken. »Sara, wir müssen ausgehen«, sagte er, nachdem sie die Tür geöffnet hatte.
»Wohin gehen wir?« Sie nahm ihre weißen Handschuhe und machte sich schon bereit, aber dann blieb sie plötzlich stehen. »Ich sollte nicht weggehen«, sagte sie. »Vielleicht schickt mir der Prinzregent doch noch eine Nachricht.«
»Ihr müßt mit mir kommen«, forderte Caine. »Ich habe keine Zeit, Euch alles zu erklären. Nathan möchte Euch im Kriegsministerium in einer halben Stunde treffen.«
»Warum?«
»Das wird Euch Nathan erklären.«
»Wer kommt sonst noch hin, und warum ausgerechnet im Kriegsministerium?«
Caine beantwortete ruhig ihre Fragen und führte sie zur Kutsche. Sara nahm ihm gegenüber Platz, und er versuchte eine lockere Unterhaltung zu führen, gab aber auf, als Sara immer einsilbiger wurde.
Das Kriegsministerium war in einem großen häßlichen Steingebäude untergebracht, und im Treppenhaus herrschte ein muffiger Geruch. Caine führte Sara in den ersten Stock und erklärte: »Das Treffen findet im Büro von Sir Richards statt. Ihr werdet ihn mögen, Sara, er ist ein ehrlicher Mann.«
»Ich bin sicher, daß ich ihn mag«, erwiderte sie, nur um höflich zu sein. »Aber wer ist Sir Richards, Caine, und warum möchte er mit uns sprechen?«
»Richards ist der Leiter des Ministeriums.« Er öffnete eine Tür zu einem großen Büro und gab Sara ein Zeichen, ihm zu folgen.
Ein kleiner, dicker Mann mit grauem Haar und Hakennase stand hinter dem Schreibtisch, und als er von den Papieren aufsah, konnte Sara seine unnatürlich rote Gesichtsfarbe sehen. Er ging auf seine Besucher zu und sagte lächelnd: »Wir sind bereit. Lady Sara, es ist mir eine große Freude, Euch kennenzulernen.«
Er war wirklich ein reizender Gentleman, dachte sie.
Er verbeugte sich formvollendet vor Sara und nahm ihre Hand in die seine. »Ihr müßt wirklich eine Lady sein, da es Euch gelungen ist, unseren Nathan einzufangen.«
»Sie hat ihn nicht eingefangen«, berichtigte Caine, während ein Lächeln seine Mundwinkel umspielte. »Er hat sie eingefangen.«
»Ich fürchte, Ihr irrt Euch beide«, flüsterte Sara. »König George hat sowohl Nathan als auch mich eingefangen. Nathan hatte gar keine andere
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