Geliebte Feindin
Knappen – schlimmer noch, der Baron fühlte sich wie ein unerfahrener Knappe.
»Erhebt Euch, Baron Lawrence, und helft mir, diese wichtige Angelegenheit zu beaufsichtigen«, befahl der König.
Lawrence tat sofort, was von ihm verlangt wurde, und als er George aus der Nähe betrachtete, mußte er an sich halten, um seine Überraschung nicht zu zeigen. In früheren Jahren hatte der König relativ gut ausgesehen, aber die Zeit war nicht gerade gnädig mit ihm umgegangen. Seine Wangen waren voller geworden, und tiefe Falten durchzogen sein Gesicht. Dicke Tränensäcke, die seine Erschöpfung zeigten, hingen unter seinen Augen. Die makellos weiße Perücke mit den Löckchen an den Seiten betonte noch seinen unnatürlich blassen Teint.
Der König lächelte seinen Vasallen in unschuldiger Erwartung an, und Lawrence erwiderte das Lächeln, obwohl er über den unbedarften Ausdruck der Güte und Aufrichtigkeit erstaunt war. Viele Jahre lang, bevor ihn die Krankheit verwirrt hatte, war George ein überaus fähiger Herrscher gewesen, und er hatte seine Untertanen behandelt wie ein wohlwollender Vater.
Der Baron stellte sich an die Seite des Königs und musterte die Männer, die er für Abtrünnige hielt, und seine Stimme durchschnitt die Stille, als er befahl:
»Auf die Knie!«
Sie gehorchten.
Hugo starrte Lawrence verblüfft an. Bis jetzt war ihm noch nicht aufgefallen, wie entschlossen sein Freund sein konnte.
Der König war hocherfreut über die allgemeine Ehrerbietung, die ihm entgegengebracht wurde. »Baron«, sagte er und strahlte Lawrence an. »Holt die Braut und den Bräutigam. Die Zeit ist schon ziemlich fortgeschritten, und wir haben noch viel zu erledigen.«
Als sich Lawrence verbeugte, wandte sich der König Sir Hugo zu. »Wo sind die Ladies? Ich sehe keine einzige Dame, die der Zeremonie beiwohnt. Was hat das zu bedeuten, Sir Hugo?«
Hugo hatte keine Lust, dem König die Wahrheit zu sagen und ihm zu gestehen, daß die Männer ihre Frauen nicht mitgebracht hatten, weil sie einen Kampf und nicht eine Hochzeit erwarteten. In diesem Fall hätte Ehrlichkeit nur die Gefühle des Königs verletzt.
»Ja, hochgeschätzte Majestät«, antwortete Hugo rasch. »Ich habe auch schon bemerkt, daß keine Damen anwesend sind.«
»Aber weshalb?« hakte der König nach.
Hugo hatte für diesen Umstand keine Erklärung parat und wandte sich in seiner Verzweiflung an seinen Freund, der in diesem Augenblick die Halle wieder betrat. »Lawrence, kennst du den Grund dafür?«
Der Baron bemerkte den erschreckten Blick seines Freundes und sagte: »Die Reise hierher war sicher zu beschwerlich für … die zarten Damen.« Er wäre fast an diesen Worten erstickt. Die Lüge war wirklich schändlich und allzu offensichtlich, denn jeder, der die Winchester-Ladies auch nur einmal gesehen hatte, wußte, daß sie ungefähr so zart waren wie Schakale. Aber König Georges Gedächtnis war offenbar nicht mehr das allerbeste. Sein kurzes Nicken zeigte an, daß diese Erklärung seine Bedenken zerstreut hatte.
Der Baron funkelte die Winchesters, die ihn zu dieser Unaufrichtigkeit gezwungen hatten, wütend an, bevor er weitere Vorbereitungen für die Zeremonie traf.
Der Bräutigam wurde aufgefordert, seinen Platz einzunehmen, und sofort bildete die Menge eine Gasse, um ihn durchzulassen. Der junge Marquis St. James stürmte in den Saal wie ein entschlossener Krieger, der sich einer feindlichen Horde stellen mußte. Er hatte kastanienbraunes Haar und klare grüne Augen. Sein Gesicht wirkte kantig und hager, und seine Nase war bei einem Kampf, den er zweifellos gewonnen hatte, gebrochen. Die kleine Unebenheit auf seinem Nasenrücken verlieh seiner Erscheinung etwas Verwegenes.
Nathan, wie ihn die engsten Familienmitglieder nannten, war einer der jüngsten Edelmänner im ganzen Königreich – er war kaum älter als vierzehn. Sein Vater, der mächtige Earl of Wakersfield, war in Regierungsangelegenheiten außer Landes und konnte deshalb seinem Sohn bei der Zeremonie nicht zur Seite stehen. Tatsächlich wußte der Earl überhaupt nicht, daß diese Hochzeit stattfand, und Lawrence befürchtete, daß er vor Wut außer sich sein würde, wenn er davon erfuhr. Der Earl war schon unter normalen Umständen ein unangenehmer Zeitgenosse, aber wenn man ihn herausforderte, konnte er rachsüchtig wie der Satan persönlich werden. Er war bekannt dafür, grausamer zu sein als die ganze übrige St. James-Sippe zusammen. Lawrence vermutete, daß ihn seine
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