Geliebte Feindin
sich niemals auf die Ratschläge anderer verlassen. Es gab nur einen Menschen, dem er wirklich vertraute, und das war sein Freund Colin. Aber jetzt stand so viel auf dem Spiel, daß Nathan gezwungen war, seine Frau zu sich zu holen. Wenn er – so stand es in dem Vertrag – ein Jahr mit Sara zusammenlebte und einen Erben zeugte, erhielt er eine stattliche Geldsumme, und Nathan war wild entschlossen, dafür alle Unannehmlichkeiten, die ihm das Eheleben bescheren würde, auf sich zu nehmen. Mit dem Vermögen, das ihm die Krone auszahlen mußte, wenn er seine Pflicht erfüllt hatte, konnte er die Gesellschaft, die Colin und er im letzten Sommer gegründet hatten, sanieren. Die Emerald Shipping Company war das erste legale Geschäft, das die beiden Männer in Angriff nahmen, und sie hatten den Ehrgeiz, es zu einem Erfolg zu machen. Der Grund für diesen Ehrgeiz war simpel: Weder Colin noch Nathan hatten Lust, ihr Leben weiterhin am Rande der Gesellschaft zu verbringen. Sie waren nach einer Auseinandersetzung mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten durch Zufall mit Freibeutern zusammengekommen und hatten einige Zeit mit ihnen die Weltmeere besegelt.
Aber vor kurzem waren sie zu der Überzeugung gelangt, daß das Risiko, das sie bei der Piraterie eingingen, zu groß war. Nathan hatte sich als der skrupellose Pirat, der sich Pagan nannte, einen Namen und zahllose Feinde gemacht. Auf seinen Kopf war eine derart hohe Belohnung ausgesetzt, daß selbst ein Heiliger der Versuchung, ihn auszuliefern, nicht hätte widerstehen können. Außerdem war es mit der Zeit immer schwieriger geworden, seine wahre Identität geheimzuhalten, und Colin hatte seinen Freund bekniet, das gefährliche Leben aufzugeben, bevor er gefangengenommen wurde. Schließlich hatte Nathan eingewilligt, seßhaft zu werden. Genau eine Woche nach ihrer Ankunft in London hatten sie die Emerald Shipping Company gegründet. Das Büro, das sich direkt am Hafen befand, war nur spärlich möbliert. Die zwei Schreibtische, vier Stühle und den Aktenschrank, dessen Holz von einem früheren Brand Blasen warf, hatte der vorherige Besitzer des Büros zurückgelassen. Wenn die beiden Freunde zu Geld kamen, wollten sie sich als erstes – neben Schiffen für ihre Flotte – neue Möbel kaufen.
Sowohl Colin als auch Nathan verstanden etwas vom Geschäft, sie hatten beide, ohne damals schon Kontakt miteinander gehabt zu haben, in Oxford ihren Abschluß gemacht. Erst als sie sich auf das tödliche Spiel des englischen Geheimdienstes eingelassen hatten, waren sie sich nähergekommen. Es dauerte eine Weile, bis Nathan, der während seiner gesamten Studienzeit keine Freundschaften gepflegt hatte, Vertrauen zu Colin faßte. Aber dann setzten sie gemeinsam ihr Leben aufs Spiel, um ihrem geliebten Vaterland zu dienen. Zu guter Letzt waren sie jedoch von ihrem unmittelbaren Vorgesetzten verraten worden. Colin war fassungslos, als er herausfand, wie übel man ihnen mitgespielt hatte, aber für Nathan war dieser Verrat keine Überraschung. Er erwartete immer das Schlimmste von seinen Mitmenschen und war demzufolge nie enttäuscht, wenn ihm jemand Schaden zufügte. Er war ein Zyniker und ging selten einer Auseinandersetzung aus dem Weg.
Colins älterer Bruder Caine, der Earl of Cainewood, hatte vor etwa einem Jahr Nathans jüngere Schwester Jade geheiratet, und seither war die Freundschaft zwischen Nathan und Colin noch enger geworden. Beide wurden, da sie dem Adel angehörten, zu den wichtigsten gesellschaftlichen Ereignissen eingeladen. Colin sagte stets freudig zu, knüpfte bei diesen Gelegenheiten Kontakte und versuchte bei all den Vergnügungen, die er besuchte, Klienten für ihre Company anzuwerben. Nathan begleitete ihn nie, und Colin vermutete, daß sein Freund genau aus diesem Grund immer wieder eingeladen wurde. Nathan war bei der höheren Gesellschaft nicht unbedingt beliebt, aber das scherte ihn nicht – er hielt sich ohnehin lieber in den kleinen Tavernen am Hafen auf.
Die beiden Freunde erschienen auf den ersten Blick wirklich grundverschieden. Colin war, wie Nathan des öfteren bemerkte, wenn er Colin ärgern wollte, der hübschere der beiden Partner. Und in der Tat sah Colin bemerkenswert gut aus. Er hatte haselnußbraune Augen und ein gutgeschnittenes aristokratisches Gesicht. Sein dunkelbraunes Haar trug er seit seinen Piratentagen ebenso wie Nathan lang, aber das störte beileibe nicht den positiven Eindruck, den sein hübsches Gesicht auf die Damen der Gesellschaft
Weitere Kostenlose Bücher