Geliebte Korsarin
Wer sind Sie?«
Dr. Casillas atmete auf. Das Mädchen – es mußte Annette Rainherr sein – sprach englisch. Er nahm seine Sprachkenntnisse zusammen und antwortete langsam mit lauter Stimme.
»Sind Sie Miss Annette Rainherr?«
»Ja. Und wer sind Sie? Woher rufen Sie?«
»Ich kenne Ihren Vater. Er war bei Ihnen, nicht wahr? Mit einer fremden Yacht und einer schönen Frau?«
Ein Zögern. Dann eine Antwort, durch eine Unterbrechung der Störungen so seltsam klar, als stände Annette neben Dr. Casillas:
»Ja, sie waren hier. Dann sind sie in der Nacht verschwunden. Ich habe sie suchen lassen. Wissen Sie etwa, wo mein Vater und diese Frau Joanna Tabora sich befinden?«
»Die Frau nannte sich Joanna Tabora?« fragte Dr. Casillas mechanisch und pfiff durch die Zähne. Das ist eine neue Variante in diesem Spiel, dachte er. Das Töchterchen weiß also nicht, wer ihr da ins Haus gekommen war! Sieh an, das sieht nach Sieg aus!
Er lehnte sich genußvoll zurück und spitzte die Lippen.
»Miss Rainherr«, sagte er, »nun hören Sie mir mal genau zu. Joanna Tabora ist gar nicht Joanna Tabora, sondern sie heißt Mary-Anne Tolkins. Der Name wird Ihnen nichts sagen, denn er ist ebenso unbekannt wie Tabora. Aber eines werden Sie doch kennen: Das Gespenst der Karibik! – Ja, Sie hören richtig! Der gefürchtetste Pirat in der karibischen See seit Sir Walter Raleigh und anderen Korsaren vergangener Jahrhunderte ist diese Mary-Anne Tolkins. Das herrliche Schiff, das bei Ihnen Anker geworfen hatte, die ›Altun Ha‹, ist das schnellste und bestausgerüstete Piratenschiff, das es je gab! Die Dame Tolkins hatte Ihren Vater überfallen und gekapert … Und dann geschah etwas, was keiner für möglich gehalten hatte: sie verliebte sich in Ihren Vater. Und Ihr Vater bekam einen ganz ungewöhnlichen Tick und machte es sich zur Lebensaufgabe, aus der Piratin ein friedliches Hausmütterchen zu machen. Ob diese Umfunktionierung klappt, weiß ich nicht … Ich bezweifle es jedenfalls stark.«
»Das ist nicht wahr!« rief Annette. Ihre helle Stimme war jetzt lauter als alle atmosphärischen Störungen. »Mein Vater und eine Korsarin? Nie! Sie lügen! Wer sind Sie? Nennen Sie doch Ihren Namen! Ich glaube Ihnen kein Wort!«
»Das steht Ihnen frei, Miss Annette. Ich berichte Ihnen nur, was ich weiß. Sie können sich selbst überzeugen, ob ich die Wahrheit sage. Mary-Anne Tolkins und Ihr Vater verleben zur Zeit sicherlich glühende Liebesnächte auf der kleinen Vulkaninsel Saba …«
Das saß! dachte Casillas zufrieden. Das traf genau ins Herz. Das geliebte Väterchen in den Armen einer Piratin … das war unerträglich für das Töchterchen.
»Saba …«, wiederholte Annette gedehnt. »Saba …«
»Gehört zu den niederländischen Jungferninseln!« Dr. Casillas lachte glucksend. »Hat nichts mit der Königin gleichen Namens zu tun! Fliegen Sie hin, und überzeugen Sie sich selbst, Miss Rainherr. Man kann sogar auf Saba landen, es hat einen winzigen Flugplatz. Chartern Sie sich eine kleine Maschine, und versuchen Sie ihr Glück! Sie werden Ihren Papa als glücklichen Piratenbräutigam vorfinden! Dazu eine ganze Crew von der besten Sorte! Ihr Vater ist das leuchtende Beispiel dafür, daß ein verliebter Mann glaubt, er könne die Geliebte verändern, und dabei selbst nicht merkt, wie er gründlichst umfunktioniert wird!«
Bumm! Das dürfte der zweite Volltreffer sein, dachte Casillas zufrieden.
»Haben Sie alles klar verstehen können, Miss Annette?« fragte er.
»Alles Lügen! Lauter Lügen! Warum nennen Sie Ihren Namen nicht? Was haben Sie zu verbergen?«
»Viel! Sehr viel! Ich bin in der Piratenfirma angestellt. Ein Insider, gewissermaßen. Sie können mir glauben, was ich sage. Und noch etwas: Während Ihr Papa und Mary-Anne Tolkins bei Ihnen waren, ist die Mannschaft der Korsarin mit der Yacht Ihres Vaters, der ›Annette I‹, nach Saba gefahren. Eine äußerst erfolgreiche Fahrt … Die Kerle haben unter deutscher Flagge eine Piratenbeute von mehreren Millionen Dollar gemacht!«
»Das ist nicht wahr!« rief Annette entsetzt.
»Überzeugen Sie sich selbst! Vor Saba ankern sie friedlich nebeneinander – die beiden Piratenyachten! Das Unternehmen weitet sich aus …«
Dr. Casillas wartete keine weiteren Fragen oder Entgegnungen ab. Er schaltete den Sender aus und steckte sich genüßlich eine kleine Zigarre an. Er war mit sich zufrieden. Der einzige, der Dr. Rainherr von Mary-Anne wegholen könnte und damit den alten Status
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