Geliebte Korsarin
kannte, als wären alle Inseln Murmeln in seiner Hosentasche – und das waren Tausende –, würde jetzt im Maschinenraum herumlaufen und die Lager der Antriebswellen ölen.
»Ich fahre mit dem Kleinen«, hatte der Angler gesagt und damit das Beiboot gemeint, »hinüber zum Atoll und werde sehen, was ich fangen kann.«
Und Juan Noales hatte genickt, seinen Chef aus den Augenwinkeln gemustert und geantwortet: »Hai, Sir?«
»Ja.«
»Nehmen Sie den Stahlspeer mit, Sir.«
»Natürlich.«
»Und die Axt.«
»Auch die, Juan. Und das lange Messer, das Kurzgewehr mit Sprengmunition, eine Pistole … habe ich noch was vergessen?«
»Nein, Sir.« Juan Noales hatte zu dem äußersten Korallenriff hinübergeschaut, das den Abschluß des Glover Reef bildete. Ja, dachte er, dort wird es Haie geben. Da ist das Wasser nicht so seicht wie hier, da fängt die freie See an. Er weiß schon, wo man sie finden kann, die Räuber. Sein Haß ist grenzenlos …
»Seien Sie vorsichtig, Sir«, hatte Noales gesagt und seine braunen Hände an den zerschlissenen Jeans gerieben. Er war, wie die meisten Kariben, ein Mischling. In ihm pulsierte spanisches und schwarzes Blut, gemischt mit indianischem Erbe, in das sich sogar ein Holländer eingeschlichen hatte.
»Mein Urgroßvater hieß Jan de Haarlog«, pflegte er stolz zu erzählen. »Der war Wiegemeister auf einer Kokosmilchfarm. Nach der Auszahlung des Wochenlohns nahm er meine Großmutter immer mit ins Bett. Die war damals noch Sklavin. Eine Halbnegerin …«
»Ich bin vorsichtig, Juan, das weißt du«, hatte der Chef geantwortet.
»Ja, aber nicht, wenn es um Haie geht.«
»Ich will noch mindestens vierzig Jahre leben, Juan!«
»Dann haben wir ja noch viel vor uns, Sir.«
»Das will ich hoffen.«
So war er abgefahren zu der Korallenbank, auf der er nun auf seinem Kissen saß und auf die Haie wartete.
Der blutige Köder schwimmt im Wasser, die schweren Angelstöcke sind in den Korallenrissen festgeklemmt. Er sieht ihn ja kommen, den Hai, das Wasser ist so klar, daß man glauben kann, der Meeresboden sei nur handflach unter der Meeresoberfläche.
Und wenn er kommt, der große mordgierige Fisch, sieht er ihn schon von weitem – zuerst als Schatten, aber dann in seiner ganzen herrlichen, kraftvollen schaurigen Schönheit.
Er hat sich darauf vorbereitet, atmet ruhig und blickt über die See, die heute grün schillert und mit dem wolkenlosen blauen Horizont zusammenstößt.
Fast eine halbe Stunde saß er so, über manches nachdenkend, was hinter ihm lag; zum Beispiel ein Leben, das jetzt 45 Jahre zählte. Begonnen hatte es in Deutschland, genauer, in Wuppertal; und hatte drei Höhepunkte gehabt: Die Erfindung eines Kunststoffes, der die Festigkeit von Chromstahlplatten hatte, aber nur ein Viertel davon wog – die Krönung seiner Forschungen als Diplomchemiker –; seine Hochzeit mit Lucia Hammerfeldt, die er auch heute noch die schönste Frau seines Lebens nannte; und – drittens – die Geburt seiner Tochter Annette. Alles andere war der Ablauf eines normalen Lebens, das zudem noch von Erfolg verwöhnt wurde, bis zu jenem Tag, an dem er zu Lucia sagte: »Dieses Jahr machen wir Urlaub auf Jamaika!«
Er hob leicht den Kopf, schob den ausgefransten Strohhut in den Nacken und beugte sich vor. Sein muskulöser Körper, bis in die kleinste Sehne durchtrainiert im täglichen Spiel mit dem Meer und den Winden, spannte sich.
Querab vom Köder, in der Nähe der Angel 3, jagte ein silberner Schatten durch das Meer. Er war noch zu weit weg, um ihn genau zu erkennen, aber der Mann wußte: Das war kein Barrakuda, das war ein Hai! Langsam streckte er die Hand zur Angel aus und umfaßte das glatte biegsame Holz.
Der Fisch kam nach einem Bogen zurück und umschwamm den Köder. Dann wendete er sich, schwamm direkt auf den Angler zu, blieb im Wasser stehen und blickte ihn durch das glasklare Meer böse und tückisch an. Kalte Mörderaugen.
Komm, dachte der Mann. Komm heran, du Bursche! Schnapp zu! Gutes, frisches blutiges Fleisch! Du zitterst ja vor Gier. Stürz dich auf das Fleisch, schling es hinunter … dann habe ich dich! Die Nylonschnur durchbeißt du nicht … und dann hole ich dich aus dem Wasser und spalte dir mit der Axt den Schädel. Verdammter, verfluchter Hai …
Nun tauchte der Fisch weg, schwamm einen eleganten Bogen, als sei er für ein Wasserballett trainiert, und kam zurück. Sein fürchterliches Maul mit den blitzenden dreieckigen Zähnen klappte auf, als er sich auf den
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