Geliebte Nanny
den farbenfrohen Klamottenberg, den Yasi nun auf meinem Teppich stapelt. Einige Teile haben die besten Zeiten schon hinter sich. So scheußlich habe ich mir die Sachen ehrlich gesagt nicht vorgestellt. Die reinste Zumutung ist das. Wie soll ich denn bitte meinem zwanghaften und kategorischen Kombinieren von Kleidungsstücken nachkommen, ohne dabei als Amokläufer zu enden?
»Deine Cousine leidet aber an ordentlicher Geschmacksverkalkung.«
»Zieh es doch mal an«, fordert Yasi mich auf, diesmal in erheblich ernsterem Ton. Ich wühle in den Sachen und entscheide mich widerwillig für eine orangefarbene Tunika. Dazu ein blassblauer Rock, der beinahe den Boden berührt. Außerdem ist er mir viel zu weit. Yasi bindet mir das Kopftuch, sodass es einen Großteil meiner Stirn bedeckt, meine Haare, meine Ohren, den Hals und die kompletten Schultern. Der Knoten im Nacken drückt ziemlich unangenehm. Ich erkenne mein Gesicht im Spiegel kaum wieder. Es wirkt streng und meine tiefdunklen Augen stechen auf einmal viel mehr hervor als sonst.
»Erstaunlich, was so ein Kopftuch bewirkt!«, kommentiert Yasi meine vorübergehende Sprachlosigkeit über mein Spiegelbild.
»Ich sehe ja aus wie eine echte Türkin«, lamentierte ich.
»Merhaba, Melek!« Yasi setzt eine zufriedene Miene auf. »In diesem Aufzug solltest du demnächst mal in den e.Club gehen«, schlägt sie vor und gluckst. »In der Aufmachung baggert dich bestimmt niemand mehr blöd an.« Sie amüsiert sich ja prächtig über mich.
»Ha, ha…«, mache ich.
»Du kannst auch ruhig mehrere Teile übereinander anziehen«, legt sie mir nahe. »Der sogenannte Zwiebellook ist bei uns gerade total angesagt!«
Als ich mich an meinen befremdenden Anblick gewöhnt habe, fange ich kurzerhand an, einen konkreten Plan zu schmieden. Schließlich muss ich gewappnet sein, wenn man mir, als neues muslimisches Kindermädchen, gezielte Fragen bezüglich meiner Person stellt. Yasemin schmückt Meleks Lebenslauf äußerst großzügig aus: Jetzt habe ich , neben einem sehr strengen und tief religiösen Vater namens Mustafa und einer geringfügig deutsch sprechenden Mutter namens Bedriye, auch noch zwei Brüder ohne Schulabschluss, die in der Gebrauchtwagenbranche tätig sind – Serdal und Mehmet. Na super, genau genommen habe ich nun Yasis komplette Familie am Hals. Des Weiteren bin ich als Melek Yildiz angeblich streng erzogen worden und füge mich heute noch den Anweisungen meines Vaters. Fernerhin trage ich das Kopftuch seit meinem 10. Lebensjahr und gehe regelmäßig mit meiner Familie in die Moschee. Amen.
Als Melek bin ich im Grunde genau das Gegenteil meiner türkischen besten Freundin. Bei meinem Deutsch darf ich natürlich keinerlei Abstriche machen. Sonst würde man mich wohl kaum für die Erziehung deutschsprachiger Kinder engagieren.
Ich nehme mir vor, Claudia von Degenhausen morgen früh anzurufen, um sie über meinen Entschluss, die Stelle anzunehmen, zu informieren.
»Gut. Dann werde ich schon mal meinen ganzen Krempel zusammenpacken und in den nächsten Tagen hier einziehen«, meint Yasi, nachdem wir alle Fragen bezüglich Meleks Autobiografie geklärt haben. Ich teile ihr das Arbeitszimmer zu. Eigentlich ist es ein Kinderzimmer, aber da Sören und ich, dem Himmel sei Dank, kinderlos waren, nutzten wir diesen Raum als Arbeitszimmer. Mehr oder weniger handelte es sich dabei aber eher um eine Art Indoor - Kfz - Werkstatt, in der Sören seinen gesamten blöden Autokrempel aufbewahrte. Von Motorteilen über jede Menge Wechselfelgen, bis hin zum kompletten Wagenheber, stapelte sich alles bis unter die Decke. Ich hoffe Yasi ist nicht allzu empfindlich – wegen des Benzingeruchs. Den kriegt man aus dem Zimmer so gut wie nie wieder raus.
»Also ehrlich, vermutet sie etwa eine selbst gebastelte Bombe unter meinem Rock, oder was?«
Am nächsten Morgen wähle ich Claudia von Degenhausens Nummer. Wieder diese gebieterische Stimme! Für einen kurzen Moment habe ich ein flaues Gefühl im Magen. Ich hoffe, ich tue das Richtige.
»Hallo, hier ist Melissa Bogner. Ich habe mich entschieden und nehme die Stelle an«, sage ich souverän.
»Das ist ja großartig«, freut Klodia sich. »Konnten Sie sich also mit meinen gestellten Bedingungen arrangieren?«
»Ja, das ist schon okay. Ich habe mich gründlich auf die Rolle und natürlich auf meine Aufgaben als Nanny vorbereitet«, bekunde ich. »Wann kann ich anfangen?«
»Morgen früh, um acht«,
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