Geliebte Nanny
Umso besser.
»Guten Morgen. Ich heiße Melek Yildiz. Ich bin die neue Nanny«, begrüße ich ihn. Jetzt regt sich etwas in seiner sonst so steifen Mimik. Ein Anflug von Bestürzung? Doch blitzartig gewinnt er die Kontrolle über seine Gesichtsmuskeln zurück und sagt mit verstopfter Nase: »Man erwartet Sie schon.«
Ich trete ein. Er mustert mich außergewöhnlich lange, kommt aber weder auf die Idee, mir bei meinem Gepäck behilflich zu sein noch bietet er mir an, es irgendwo abzustellen. Für jemanden seines Metiers ist das wirklich mehr als unhöflich.
»Kommen Sie mit«, sagt er unpoetisch und schlägt die gleiche Richtung ein, wie beim letzten Mal. Übrigens finde ich es mindestens genau so unhöflich, dass er sich mir nicht mal vorgestellt hat. Immerhin haben wir den gleichen Arbeitgeber, sind quasi so was wie Kollegen. Wenn auch auf verschieden Einsatzgebieten. Ich muss unweigerlich an die Fernsehserie Die Nanny denken. Da gab es auch einen Butler. Einen fiesen Butler, der es sich nicht nehmen ließ, das Kindermädchen bei jeder Gelegenheit zu schikanieren. So was fehlte mir gerade noch. Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch. Sonst wäre ich wahrscheinlich immer noch mit Sören zusammen.
Wieder kündigt der Butler mich Klodia an, bevor ich ihr Büro betrete. Heute sitzt sie in einem todschicken Prada - Ensemble an ihrem Schreibtisch und nippt an einem Glas Wasser. Oder Wodka?
Erschrocken nimmt sie mich in Augenschein.
»Du meine Güte…«, staunt sie und verschluckt sich fast an ihrem Getränk. »Sind Sie’s wirklich?«
Ich nicke.
»Sie sehen ja fürchterlich aus…äh ich meine…so echt. Wirklich täuschend echt«, stellt sie fest.
Ihre Miene nimmt einen zufriedenen Ausdruck an.
Ich trete an den Schreibtisch und reiche ihr den ausgefüllten Arbeitsvertrag. Sie schaut hinein.
»So, so. Melek Yildiz«, liest sie und mustert mich auf’s Neue. »Das bleibt natürlich unser kleines Geheimnis.« Dabei sieht sie mich so unmissverständlich an, dass ich beinahe meinen wirklichen Namen vergesse.
»Pauline muss gleich in den Kindergarten. Den können Sie zu Fuß erreichen. Und danach gehen Sie bitte mit Gerald in den Krabbelclub«, sagt sie in dem üblichen Befehlston, mit dem ich bereits Bekanntschaft gemacht habe.
Sie hält mir einen Packen broschierter Zettel vor die Nase, bei genauerem Hinsehen, erkenne ich, dass es sich um eine Art Wochenplan handelt, auf dem sie mir sämtliche Aktivitäten und Verantwortlichkeiten als Kindermädchen aufgelistet hat.
Sie erhascht einen kurzen Blick auf mein Gepäck und dann auf ihre Uhr. »Sie müssen sich beeilen. Pauline kommt sonst zu spät. Erziehen Sie die Kleinen zu Disziplin und Pünktlichkeit, Melek. Das kann heutzutage nie schaden.« Sie erhebt sich graziös von ihrem Stuhl und komplementiert mich ohne Umweg zur Tür.
Der Butler steht schon in den Startlöchern. Ob der eigentlich auch freundlich gucken kann? Schnurstracks führt er mich durch einen verwirrenden Flur zu meinem neuen Zimmer. Im Übrigen heißt er Horst, aber Howard passt irgendwie besser zu ihm und klingt auch gleich viel edler. Und mal ehrlich, einem Howard würde man wohl eher den rechtschaffenen Butler abkaufen als einem stinknormalen Horst, oder?
Ich werfe nur einen eiligen Blick ins Zimmer und stelle meine Sachen in der Mitte ab. Was ich bis jetzt gesehen habe, übertrifft bereits all das, was ich mir vorgestellt habe. Dieses sogenannte Gästezimmer könnte ja beinahe mit einer Executive Suite des InterContinental konkurrieren; was nicht heißt, dass ich jemals in einer gewesen wäre. Aber ich habe mir erst kürzlich einen Fernsehbericht über Lifestyle - Hotels angesehen. Howard führt mich zurück zur Eingangshalle. Dort steht schon ein überdimensionaler gelb - schwarz karierter Buggy zur Ausfahrt bereit. Burberry Sonderausstattung, nehme ich an. Also, einen Schal in diesen unmöglichen Farben lasse ich mir ja noch gefallen, aber muss es gleich ein kompletter Kinderwagen sein? Noch dazu werde ich – als Melek – in Kombination mit diesem Kinderwagen, mit Sicherheit das lächerlichste Bild abgeben, was man in diesem Viertel je gesehen hat.
Ein blonder Lockenkopf glubscht mir, mit großen blauen Augen, aus dem Buggy entgegen. Er nuckelt wie besessen an seinem Schnuller. Aha, das ist also Gerald – scheußlicher Name für so einen süßen Fratz. Klodia schiebt mir den Buggy entgegen. Dicht gefolgt von einem ebenfalls blond gelockten Vorschulkind, das seiner Mutter
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