Geliebte Nanny
schießt ihre prompte Antwort durch den Hörer. »Bringen Sie am besten gleich Ihre ganzen Sachen mit. Das Gästezimmer ist hergerichtet. Sie können direkt bleiben.«
»Oh, ich habe gar nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht…«, lenke ich ein.
»Hör’n Sie zu«, stöhnt sie genervt. »Ich habe viel zu tun. Mein Terminkalender ist vollgestopft. Ich komme kaum zur Ruhe und dazu noch diese schwierige Phase, in der die Kinder gerade stecken!«
Was wohl im Klartext bedeutet, dass sie ihr tierisch auf die Nerven gehen.
»Also Frau Bogner, wollen Sie nun den Job oder nicht?« Ihre Gereiztheit lässt auf einen ungesunden Lebenswandel schließen, möglicherweise auch auf eine vorzeitige Menopause. Oder hat sie schlicht und einfach ihre Tage?
»Ja, natürlich will ich den Job…«, bringe ich eilig hervor.
»Dann schwingen Sie morgen früh um acht ihren Hintern hierher, Frau Bogner. Und vergessen Sie das Kopftuch nicht!«
»Alles klar, gnädige Frau. Acht Uhr. Mit Kopftuch.«
Schwups. Schon hat sie wieder aufgelegt. Mannomann, das kann ja heiter werden.
Kurz darauf rufe ich meine Mutter an und informiere sie über die neusten Umstände, lasse aber mit Bedacht die Angelegenheit mit der ungewöhnlichen Verkleidung aus.
»Und du bist auch wirklich ganz sicher, dass es sich um die Familie von Degenhausen handelt? Die mit der berühmten Schmuckfirma!«
»Ja Mama!« Ich verdrehe die Augen.
»Ja, dann ist es kein Wunder, dass die so gut bezahlen«, konstatiert sie. »Dann kann ich jetzt endlich wieder beruhigt schlafen und muss mir keine Sorgen mehr machen, dass du eines Tages in der Hartz IV Schlange stehst.«
Also gleich leg ich auf! Meine Mutter ist jemand, der gemeinhin frei heraus sagt, was er denkt. Egal, ob man es hören will oder nicht.
Sie seufzt erleichtert ins Telefon: » Da wird der Hund in der Pfanne verrückt. Meine Tochter – Nanny bei den Superreichen. So was hätt’ ich dir gar nicht zugetraut. Wenn dein Vater von der Arbeit kommt, köpfen wir erstmal eine Flasche Schampus und trinken auf dich Kind.« Sie ist so euphorisch, hinsichtlich der positiven Entwicklung meiner beruflichen Laufbahn, dass ich ihr glatt eine öffentliche Bekanntgabe durch die 20 Uhr Nachrichten zutraue.
»Dieser Job ist ja fast wie ein Sechser im Lotto. Da musst du unbedingt am Ball bleiben, Melissa. Verkehrt man erst einmal in solchen gehobenen Kreisen, ist es nicht unwahrscheinlich, dort eine gute Partie zu machen. Bei deinem Aussehen kann das ja nicht so schwer werden.«
»Mama!«, rufe ich leicht entsetzt. Ich bin von Natur aus das uneingeschränkte Gegenteil meiner Mutter, die eine eher unkritische Haltung im Hinblick auf die Partnerwahl vertritt. Und zum Glück habe ich auch ihren Hang zu penetrantem Übereifer nur bedingt von ihr geerbt.
Die Stimme meiner Mutter wird immer psychedelischer. »Also, stell dich nicht dumm an, Kind. Du wirst dir in den Hintern beißen, wenn dir so ein charmanter Multimillionär durch die Lappen geht!«
Nur gut, dass ich ihr nichts von Melek Yildiz erzählt habe. Sonst würde sie sich auf der Stelle in den Hintern beißen.
Wie, um alles in der Welt soll ich es anstellen, mir mit meiner auferlegten Maskerade einen Millionär zu angeln? Es sei denn, in besagten Kreisen verkehrten zufällig auch ein paar arabische Ölscheichs.
Nach einer sehr unruhigen Nacht, bin ich am nächsten morgen, schon lange bevor mein Handyalarm losgeht, hellwach. Zum Frühstück reicht mir heute ein Kaffee. Wenn ich aufgeregt bin, vergeht mir stets der Appetit. Auf dem Sofa stapelt sich noch immer die Altkleidersammlung von Yasis Cousine.
Gestern, nach dem Telefongespräch mit meiner Mutter, habe ich versucht, einige der kunterbunten Teile möglichst zumutbar miteinander zu kombinieren. Leider ohne Erfolg.
Letzen Endes habe ich mich wieder für die orangefarbene Tunika und den blassblauen Rock, in Kombination mit dem farbenfroh gemusterten Stickerei - Kopftuch entschieden.
Ich steige in meine schwarzen Ballerinas. Wenigstens sind meine Füße noch sie selbst. Um ehrlich zu sein, ich sehe fürchterlich aus. So fremd. Diese Umstandskleidung verleiht mir glatt einen Viermonatsbauch.
Wie jeden Morgen tusche ich meine Wimpern mit Mascara. Das lässt meine Augen noch viel dunkler erscheinen. So als hätte ich zwei Stücke Kohle an Stelle meiner Augen.
Die restlichen Sachen packe ich in meine Reisetasche, in der ich die Dinge, die ich für den Umzug in die Villa benötige,
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