Geliebte Nanny
das eher bezweifle. Sie gehört ja auch zu den Normalen . Aber womöglich hat irgendjemand aus ihrer Familie etwas Derartiges schon erlebt.
Ich beobachte Pauline, die stolz auf einem weißen Pony namens Nepomuk ihre Bahnen reitet und eifrig die Anweisungen des Reitlehrers befolgt. Gerald sitzt im Gras und spielt mit seiner Trinkflasche. O Mist, dass diese Dinger immer so undicht sind. Jetzt ist das sauteure Poloshirt von klebrigem Saft durchnässt.
Voller Unbehagen stehe ich etwas abseits der anderen Eltern, die ihren Kindern bei der Reitstunde zusehen. Ich spüre jeden einzelnen ihrer ungeneigten Blicke auf mir. Daran muss man sich erstmal gewöhnen. Bin ich eine Außerirdische, oder was!?
Optisch gesehen bin ich jetzt ein völlig anderer Mensch und man begegnet mir plötzlich ganz anders als früher. Ich weiß gar nicht, was unangenehmer ist: Die ständigen hemmungslosen Männerblicke und der Neid so mancher Frau, die mit natürlicher Attraktivität nicht so großzügig gesegnet ist wie Melissa Bogner. Oder diese negativen Schwingungen und die Ablehnung von allen Seiten, Melek Yildiz gegenüber.
Am Abend, nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht habe, lerne ich erstmals das übrige Personal kennen: Den aus der Provence stammenden Koch, Antoine, und den gut und gerne achtzigjährigen Gärtner, der einen gewaltigen Buckel hat, was bestimmt von der vielen Gartenarbeit kommt. Und auch mit der männlichen Putze, die Pawel Popowitsch heißt und aussieht wie eine kleinwüchsige Version von Olivia Jones, mache ich Bekanntschaft. Das Interesse an mir hält sich jedoch in Grenzen. Nach einem kurzen »Hallo« widmen sich alle wieder ihrem üblichen Tätigkeitsbereich. Auch gut. Dann bleibt mir wenigstens Zeit für meine eigenen Bedürfnisse.
Mit meinem spannenden Roman setze ich mich auf meinen Balkon, das Babyphon in Hörweite. Auf dem gemütlichen Korbstuhl mache ich es mir so richtig bequem, ziehe die Schuhe aus und lege die Füße auf’s Geländer. Da es immer noch sehr warm ist, schiebe ich den Rock hoch bis zu den Oberschenkeln. Außerdem habe ich den schrecklichen Strickmantel ausgezogen und trage jetzt nur ein eng anliegendes Tank - Top. Hoffentlich sieht mich niemand in diesem Aufzug. Ich schaue mich um. Wirklich ein opulenter Ausblick, der sich mir bietet. Ich entdecke einen riesigen Pool, dessen türkisblaues Wasser in der Sonne glitzert. Davor erstreckt sich eine überdimensionale Terrasse in mediterranem Flair, auf der ein wollweißes Sonnensegel über luxuriösen Gartenliegen gespannt ist. Die Villa ist U - förmig angelegt. Neugierig spähe ich in die Fensterscheiben der gegenüberliegenden Zimmer. Keine Menschenseele in Sicht. Gut. Ich bin also unbeobachtet und kann das Kopftuch abnehmen. Endlich.
Mittlerweile ist es draußen dunkel geworden und mir fällt ein, dass ich Yasi anrufen wollte, doch sie geht nicht ans Telefon. Daraufhin schicke ich ihr eine SMS mit der Bitte, mich schnellstens zurückzurufen.
Todmüde falle ich ins Bett und schlafe ruckzuck ein. Die Eindrücke dieses entmutigenden Tages spiegeln sich in bizarren Träumen wider. Das letzte Mal habe ich derartige Alpträume gehabt, nachdem ich mir heimlich mit einer Schulfreundin Das Schweigen der Lämmer angeschaut habe. Dummerweise sah unser Mathelehrer genauso aus wie Hannibal Lecter. Verständlich, dass er mich anknüpfend, meine gesamte restliche Schulzeit lang, in meinen Träumen mit binomischen Formeln folterte und drohte, mich zu verspeisen, wenn ich nicht endlich kapierte, wie und wofür man sie benutzte. Es hatte etwas Gutes. Heute bin ich quasi ein Mathegenie.
Ich wache schweißgebadet auf. Mein Puls rast. Tief durchatmen! Ich lasse mich doch nicht unterkriegen von ein paar Leuten, die meinen, sie könnten es mit dem türkischen Kindermädchen machen. Ich denke scharf nach und im nächsten Moment packt mich ein grandioser Plan.
Ich werde dafür sorgen, dass diese feindselige Meute mich so akzeptiert, wie ich bin. Inklusive Kopftuch und Strickmantel. Niemand wird mich mehr despektierlich anglotzen. Ich werde keine Außenseiterin mehr sein, auch wenn ich in diesem Schickimicki - Viertel eindeutig eine Minderheit darstelle.
Ich weiß zwar noch nicht genau, wie ich das anstellen soll, doch ich werde sie schon dazu kriegen, mich zu akzeptieren. Damit das ein für alle mal klar ist: Ich bin nicht ansteckend! Ich bin eine (vorgeblich) türkische Kindergärtnerin, die es zufällig geschafft hat, Nanny bei einer
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