Geliebte Nanny
kann eigentlich nicht besonders gut schwimmen, doch der Adrenalinstoß verleiht mir wahre Superkräfte, mit denen ich mühelos vorankomme. Ich tauche ab und nach einigen Sekunden erreiche ich Klara. Den Rettungsgriff kriege ich zwar nicht so vorbildlich hin, wie David Hasselhoff seinerzeit, aber zumindest bleibt Klaras Kopf über der Wasseroberfläche. Ich höre die gedämpften Schreie der beiden anderen Mädchen und erhasche einen kurzen Blick zum Beckenrand. Mittlerweile hat sich die gesamte Partygesellschaft um den Pool herum versammelt. Es herrscht Stille und alle starren mich gebannt an. Während ich Klara mit letzter Kraft bis zum Beckenrand ziehe, wird mein Körper immer schwerer und droht zu versinken. Sie atmet nur schwach. Arndt steht bereit und zieht sie energisch aus dem Wasser heraus. Er legt sie flach auf den Boden. Als ich es selbst kaum schaffe, mich aus dem Pool zu hieven, bietet mir Albert hilfsbereit seine Hand an. Ich springe auf die Füße und dränge mich im Nu durch die Menschentraube, die sich um Klara gebildet hat. Alle glotzen, als handelte es sich bei dem Kind um einen verschollenen Piratenschatz, der soeben geborgen wurde. Ungeheuerlich! Was ist denn mit denen los?
»Weg da, sie muss beatmet werden!«, schreie ich in die gaffende Menge. Im Film sind doch auch immer ein paar angesehene Ärzte unter den Partygästen. Wo sind die denn jetzt alle? Kurzerhand beginne ich selbst mit der Beatmung. Zum Glück habe ich, als Erzieherin, an allen empfohlenen Erste - Hilfe-Kursen für Kinder teilgenommen. Ich weiß also genau, was ich tue.
»Ich habe schon einen Rettungswagen bestellt«, bemerkt jemand großkotzig, als hätte er soeben die Heldentat des Tages vollbracht.
Eine rot - blonde Frau, in schwarzem Bikini und dazu passenden schwarzen Stilettos, kniet sich neben mich. Es ist Klaras Mutter. Sie hält die kalte Hand ihrer Tochter und wärmt sie mit ihren eigenen Händen.
Klaras Brustkorb hebt und senkt sich wieder regelmäßig. Sie hustet und fängt an, Chlorwasser zu spucken. Erleichtert rücke ich ein wenig ab, damit ihre Mutter sich um Klara kümmern kann, bis der Rettungswagen eintrifft. Hilda und Pauline befinden sich mittlerweile auch wieder auf dem Trockenen.
Alle starren mich an und unverhofft fällt die ganze Anspannung der letzten Minuten von mir ab. Mir wird ganz komisch. Alles dreht sich und dann…ist es schwarz um mich herum.
Als ich meine Augen wieder öffne, kauere ich in einem Liegestuhl. Ein Handtuch liegt über meinem nassen Burkini.
›Mein Kopftuch!… ‹, ist mein erster Gedanke. Sofort kontrolliere ich mit einer bleischweren Hand, ob es noch richtig sitzt. Glück gehabt. Erleichtert fällt meine Hand zurück in den Schoß.
»Sie wird wach...«, höre ich eine Frauenstimme sagen. »Da haben Sie uns ja einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Kindchen; als Sie so tollkühn mit diesem Raumanzug in die Fluten gesprungen sind. Das war wirklich heldenhaft. Sie haben meiner Enkelin das Leben gerettet.« Jemand lächelt mich aus einem freundlichen Gesicht, das einzig und allein aus Falten besteht, an. Es ist die alte Dame, die mich noch vor ein paar Stunden für ansteckend hielt. Sie tätschelt meine Hand.
»Danke Melek. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, sagt Klaras Mutter reuevoll. »Gerade saß Klara noch auf der Luftmatratze und dann war sie plötzlich weg. Dabei habe ich mir nur eben ein Glas Martini geholt...«, gesteht sie mit schuldbewusster Stimme. »Ich bin eine miserable Mutter.«
Klodia , die sich nun auch hinzugesellt, legt ihre Hand auf die Schulter der reumütigen Mutter.
»Jetzt hör auf, dir die Schuld dafür zu geben, Mona«, redet Klodia auf sie ein. »Obwohl ich mich schon die ganze Zeit gefragt habe, warum du deine Nanny nicht mitgebracht hast. Wie soll man sich denn entspannen, wenn man ständig die Kinder im Auge behalten muss? Da kann man wirklich von Glück reden, dass unsere Melek deine Klara gerettet hat. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass nicht jede Nanny auf fremde Kinder achtet, wenn sie dafür nicht bezahlt wird. Seht ihr, ich hab euch doch gesagt, dass Melek gut ist. Prost !« Klodia erhebt ihr volles Champagnerglas und nimmt einen großen Schluck.
Ich seufze leise und schließe die Augen. Über Klodias fragmentarisches Feingefühl kann man sich wirklich nur wundern.
Kurze Zeit später trabt Arndt mit einem Teller an. Pauline begleitet ihren Vater.
»Geht’s wieder Melek?«
Ich nicke. Er reicht mir den
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