Geliebte Nanny
die Augen konzentriert zusammenkneife.
Zuerst bin ich stutzig. Nein, das kann nicht sein!
Wie ein geölter Blitz flitze ich los, hinunter in den Garten.
Tatsächlich!
Es ist Pauline, in ihrem rosa Bademantel. Eingerollt wie ein Embryo, liegt sie auf der Luftmatratze unter dem Buffettisch und schläft. Ich berühre sie behutsam. Die letzte Nacht war äußerst mild, zum Glück, dennoch bezweifele ich, dass Pauline nicht gefroren hat. Ich greife ihr unter die Arme und trage sie über die Wiese. Sie wird wach und blinzelt mich an, doch nach ein paar Metern gähnt sie und schlummert wieder ein.
Arme kleine Maus!
Eine Welle des Schuldbewusstseins bricht wie ein Tsunami über mich herein. Wie konnte ich bloß einschlafen? Ich hätte Pauline ins Bett bringen müssen, gestern Abend. Ich bin die Nanny und ich hatte die Verantwortung für sie!
Reumütig drücke ich Pauline an mich. »Ist schon gut meine Kleine. Ich bring’ dich in dein Bett.«
Die Tür zu Klodias Büro steht einen Spalt breit offen. Als ich vorbeigehe, spähe ich vorsichtig hinein. Sie sitzt angelehnt in ihrem Bürosessel, mit nicht mehr als ihrem marineblauen Bikini bekleidet; das Oberteil hängt allerdings auf halb acht. Ihre Haare sind ein einziges Wirrwarr. Ich kann ihr Gesicht darunter nur vermuten. Sehen möchte ich es unter diesen Umständen lieber nicht. Ihre ungesunde Kopfhaltung wird gewiss noch Tage lang eine fiese Nackenstarre zur Folge haben und sie gibt Geräusche von sich, wie das städtische Sägewerk während der Hochsaison. Zwischen ihren Fingern baumelt ein leeres Weinglas, dessen ehemaliger Inhalt einen dunkelroten Fleck auf dem hellen Kurzflor - Teppich hinterlassen hat. Spontan drängt sich mir ein Foto von diesem koksenden britischen Model in den Sinn, welches ich letztens in einer Illustrierten gesehen habe. Klodia sieht gerade ganz genauso aus. Alles in Allem ist sie kein schöner Anblick. Kein Wunder, dass Klodia in einem derartigen Zustand nicht mehr in der Lage war, ihre Tochter selbst ins Bett zu bringen.
Kopfschüttelnd gehe ich weiter. Ich lege Pauline ins Bett. Für heute hat sich der Kindergarten wohl erledigt.
Am späten Nachmittag ist Klodia wieder einigermaßen ansprechbar.
»Melek«, ruft sie mit heiserer Stimme.
Ich trete aus dem Kinderzimmer in die Galerie und schaue hinunter. Klodia steht in komplettem Jogging - Outfit am Treppenansatz und hält sich ein Kühlpäckchen an die Stirn. Ihre tiefen, dunklen Augenringe zeugen von einer durchzechten Nacht. Da nützt auch die zentimeterdicke Schicht Concealer nichts, mit der sie versucht hat, die drastischen Spuren abzudecken. Sie sieht echt schlimm aus.
»Kommen Sie mal runter, ich hab’s eilig. Muss gleich zum Sport!«, poltert sie im Befehlston.
Gehorsam steige ich die Treppe hinunter. Allzu lange möchte ich die Kinder jedoch nicht allein im Spielzimmer zurücklassen. Paulines Laune ist heute nicht die allerbeste, und ich befürchte, dass sie deswegen ihren kleinen Bruder drangsalieren wird. Zuzutrauen wäre es ihr, immerhin ist sie Klodias Tochter.
Klodia lugt durch die Glasscheibe der Eingangstür, als würde sie jemanden erwarten.
»Da sind sie ja, Melek.« Sie dreht sich zu mir um. »Mein jüngerer Bruder kommt jeden Augenblick. Er ist vor kurzem aus Boston zurückgekehrt und bleibt einige Zeit bei uns, bis er eine passende Immobilie gefunden hat. Vielleicht haben Sie es mitbekommen; David wird der neue Geschäftsführer der Firma, neben Arndt natürlich. David ist mein Halbbruder. Mein Vater hatte eine Affäre mit meinem Kindermädchen.« Sie kneift ihre Lippen zusammen und atmet tief durch die Nase ein. Dann spricht sie weiter: »Als ich siebzehn war, starb meine Mutter. Mein Vater heiratete Davids Mutter und holte beide zu sich. David war damals sieben.« Sie legt ihre Stirn in Falten. »Leider habe ich ausgerechnet heute keine Zeit für ihn; ich komme erst um zehn nach Hause. Und dummerweise hat Horst heute frei.«
Horst?
Ach so, ja…sie meint Howard . Den Butler.
»Horst ist auf der Beerdigung seiner Großtante in Berlin und kommt erst morgen Abend zurück. Es ist also niemand da, der Davids Zimmer herrichtet und seine Hemden bügelt. Pawel hat schon genug zu tun. Vielleicht haben Sie ja gesehen, wie der Garten aussieht!«
Ich nicke. Klodia sieht mich eindringlich an.
»Würden Sie sich bitte um das alles kümmern, Melek!?« Es ist weniger eine Frage, vielmehr eine Instruktion. Unglaublich, sie hat mich soeben zum Zimmermädchen
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