Geliebter, betrogener Mann
Gotthelf die Frau sein, die er braucht …«
Anna Petermann sah auf das kleine Drageehäufchen. Ihre Hand glitt über den Tisch, aber kurz vor den Pillen zuckte sie zurück.
»Ich kann sie nicht nehmen …«, sagte sie leise. »Ich muß das beichten. Und wenn der Herr Pfarrer das erfährt …«
»Kreuzdonnerwetter! Dein Pfarrer gibt dir das Leben nicht zurück, wenn du am siebten Kind draufgehst!«
»Sie lästern wieder, Herr Doktor.«
»Er sagt, Kinder sind ein Segen Gottes. Und wen Gott liebt, den segnet er.« Gotthelf Petermann sah auf den Säugling in Annas Arm. Er schlief, satt und zufrieden.
»Ich möchte den Segen sehen, der einen irreparablen Uterusriß verhindert!« schrie Dr. Wehrmann. »Hier hört das religiöse Dogma auf. Hier wird Gläubigkeit zum Selbstmord.«
»Um Himmels willen, wenn das der Pfarrer hörte!« Anna drückte den schlafenden Säugling an sich. »Als ich so schwer darniederlag, war er zweimal im Krankenhaus und hat mir das Bild des Heiligen Antonius geschenkt. Gott wird dir Kraft geben, hat er gesagt.«
»Und das hat er denn wohl auch … du sitzt ja wieder hier.« Dr. Wehrmann sprang auf. Anna sah ihn ängstlich an.
»Wenn der Herr Pfarrer das hörte …«, wiederholte sie leise.
»Er wird es hören, ganz deutlich und laut, damit er kein Wort überhört.« Dr. Wehrmann wollte noch etwas hinzufügen, aber dann hielt er seine Worte zurück und nahm seinen Hut. Mit stampfenden Schritten verließ er das Haus der Petermanns.
Er fuhr geradewegs ins Dorf, zum Pastorat.
Die zwanzig Pillen hatte er auf dem Tisch zurückgelassen. Petermann schob sie vorsichtig in die Schachtel zurück und stellte diese in den Schrank. Neben eine Flasche Maggiwürze und eine Dose mit Kümmel.
Das Pastorat des kleinen Ortes Heidkamp war angelegt wie ein alter , wehrhafter Pfarrhof aus der Zeit der Sachsenmission. Pfarr haus, Ställe, zu einer Garage umgebaute Fuhrwerksremisen und ein Vikariat bildeten ein Viereck, nach außen mit kleinen, schießschar tenähnlichen Fenstern, dicken Mauern und Stützen. Eine Ringburg gewissermaßen, in der man den Glauben verteidigte. Nur durch eine große Toreinfahrt im Vikariat erreichte man den viereckigen Innenhof, der an einen mittelalterlichen Turnierplatz erinnerte. Die Kirche stand außerhalb dieser ›Pfarrburg‹ – wie man es im Volksmund nannte –, ein breiter Bau aus Bruchsteinen, hingesetzt für Jahrhunderte.
In dieser ›Burg‹ residierte Dechant Peter Bader. Er war ein großer, stämmiger Mann mit einem dicken Kopf und muskelbepackten Armen, einer lauten Stimme und einem rauhen Humor. »Der Bader kann wie Bonifatius Eichen umhacken«, hieß es in Heidkamp und Umgebung, und man hütete sich, irgendwie mit Dechant Bader in Streit zu kommen. Zweimal war dies versucht worden, und beide Male zogen die Angreifer den kürzeren. Einmal war es der reiche Bauer Schulze-Borbeck, der an vier Sonntagen nicht die Messe besuchte, weil Dechant Bader eine Predigt über die faulen Satten der Gemeinde gehalten hatte. Nun hatte in der Heidkamper Kirche jeder Bauer seit Generationen seine eigene Bänke, auf der ein Schild mit seinem Namen stand. Und siehe da: Eines Montags kommt ein Fuhrwerk und lädt bei dem Bauern Schulze-Borbeck dessen Kirchenbank ab. »Mit einem schönen Gruß vom Herrn Dechant«, hieß es. »Er braucht die Bank nicht mehr in der Kirche.« Von diesem Tag an saß Schulze-Borbeck wieder sonntags in der Kirche, brav in der ersten Reihe wie früher. Die Bank hatte er eigenhändig wieder ins Kirchenschiff geschleppt.
Der andere Streit war langwieriger. Es dauerte zwei Jahre, bis Dechant Bader auch ihn gewann. Es ging um eine Kirchenglocke, genauer um die kleine Totenglocke, die auf dem Friedhof hinter der Kirche geläutet werden sollte, wenn ein Sarg über den geweihten Acker getragen wurde. Der Fabrikant Hans Schwennig, der wie Pohland ein Gut in der Umgebung von Heidkamp bewohnte, hatte sich zur Stiftung der Glocke angeboten. Also wurde ein Türmchen gebaut, man wartete auf die Glocke, aber sie kam nicht. Erst später sickerte durch, daß Dechant Bader und Hans Schwennig in eine Auseinandersetzung geraten waren. Schwennig wollte nämlich, daß auf der Glocke stehen sollte: ›Gestiftet von Hans Schwennig‹. Dechant Bader wollte die Inschrift: ›Memento mori‹ haben. Da keiner davon abging, ließ Schwennig die Glocke nicht anrücken. Aber Bader gab nicht auf. Bei jedem Begräbnis wurde jetzt im Glockenturm ein weithin lesbares Schild emporgezogen.
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