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Geliebter, betrogener Mann

Geliebter, betrogener Mann

Titel: Geliebter, betrogener Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hysterischen Anfälle hatte. Da hatte er sich eingeschlossen und gemalt.
    Tutti saß neben ihm und sah ihm stumm zu. Als er meinte, fertig zu sein und alles gezeichnet zu haben, was möglich war, schob er das Bild dem Kind zu.
    Tutti sah es mit ihren wundervollen, sprechenden Augen an. Lange, sinnend, etwas suchend. Es war deutlich, daß etwas auf dem Bild fehlte, daß es für sie unvollkommen war. Plötzlich hatte sie es entdeckt, ihre Augen bekamen einen wilden Glanz. Sie riß Pohland den Bleistift aus den Fingern und begann, Schatten in das Bild zu setzen. Nur ein paar Striche, ein paar Schraffierungen, und das Bild bekam Tiefe und Leben. Es war nicht mehr ein Blatt Papier, sondern eine plastische Landschaft. Und dann riß sie den fahlen Himmel auf, den Pohland gezeichnet hatte. Sie ließ die Sonne scheinen; man sah sie nicht, aber man spürte sie – im Glanz, der auf den Bergen lag und an den Schatten, die über das Tal wanderten.
    »Die Sonne!« sagte Pohland mit erstickter Stimme. »Ja, die Sonne fehlte. Wir sollen immer in der Sonne leben, Tutti … wie recht hast du …«
    Und er zog diesen unförmigen Körper heran, umarmte ihn und drückte ihn fest an sich. Tutti ließ es geschehen. Ihre großen, blauen Augen waren dunkel vor Glück.
    Am darauffolgenden Abend riefen zwei Bekannte aus Ebenhagen an. Zuerst Dr. Corbeck. Er hatte mit Geschick die Weihnachtsgäste ausgeladen und von dem Skiunfall erzählt. Nun stand das Problem der Silvesternacht bevor und der große Neujahrsempfang in der Halle der Pohland-Werke. Er war zur Tradition geworden. Groß vater Pohland hatte damit angefangen. Er hatte am Neujahrstag seine Belegschaft um sich versammelt, hatte allen mit Handschlag für die Treue und die Arbeit des vergangenen Jahres gedankt und je dem ein goldenes Zwanzig-Mark-Stück in die Hand gedrückt. Großvater Pohland konnte das noch, damals zählte der Betrieb dreiund zwanzig Beschäftigte. Vater Pohland hatte es schon schwieriger, er überblickte an jedem Neujahrstag sechshundert Arbeiter, später so gar zweitausend, hielt wie der Großvater eine Rede und ließ Lohn tüten mit einer Prämie verteilen. Jetzt waren es einige Tausend mehr, und Michael Pohland hatte die Tradition fortgesetzt und die Treue prämien beibehalten.
    »Der Silvesterball fällt aus!« sagte Pohland und hörte 700 Kilometer weiter seinen Syndikus seufzen. »Wir sind zwar auf Heidfeld, aber ich möchte keinen Menschen sehen! Wenn Sie es unbedingt für nötig erachten, lieber Corbeck, dann vertreten Sie mich bitte auf dem Fest, berichten Sie von meinem Unfall – den müssen Sie jetzt über die Runden schleppen, ob Sie wollen oder nicht – hauen Sie auf die Pauke und jubeln Sie sich ins neue Jahr. Man wird mich nicht vermissen.«
    »Ich glaube, das ist eine Fehleinschätzung, Herr Pohland«, wagte Dr. Corbeck einen Einwand.
    »Irrtum, mein Lieber! So wichtig bin ich gar nicht. Ob ich am kalten Büfett stehe oder nicht, das ist Wurscht. Hauptsache ist, daß das Büfett gut sortiert ist, daß der Wein schmeckt und genug Sekt kalt steht. Und wichtig ist, daß man sich sieht und gesehen wird. Daß man Verbindungen knüpfen und zwischen Gänseleber mit Trüffeln und einem Champagner-Cobbler einen Liefervertrag aushandeln kann. Darauf kommt es an! Alles andere ist gesellschaftliche Floskel, die dazu gehört wie eine beschissene Windel zum Säugling.«
    Dr. Corbeck legte resignierend auf. Was ist bloß mit diesem Oberholzen los, dachte er. Er nahm sich vor, Dr. Wehrmann darüber zu befragen, obwohl er im voraus wußte, auch von dort eine dumme Antwort zu erhalten. Es mußte ein Ereignis eingetreten sein, das grundlegend in das Leben Pohlands eingriff, ja, das ihm eine andere Richtung gab. Gerda Pohland war es nicht, das glaubte Dr. Corbeck zu wissen, aber durch sie war dieses undefinierbare Ereignis herangekommen.
    Er sah noch einmal auf den Telefonhörer, zuckte die Schultern und begann, sich um die Sitzordnung an der Tafel zu kümmern. Eine sehr diffizile Aufgabe, denn es galt, Personen nebeneinander und sich gegenüber zu setzen, die nicht an der Krankheit der gegenseitigen Antipathie litten.
    Der zweite Anrufer in Oberholzen war Dr. Wehrmann. Er hatte Glück, daß Gerda am Apparat war; Michael Pohland stand unten vor der ›Sonne‹ und wachste seine Skier.
    »Alles in Ordnung?« fragte Dr. Wehrmann.
    »Alles, Doktor.«
    »Was sagt er?«
    »Er hat mit Tutti über eine Stunde gespielt.«
    »Und sonst?«
    »Was sonst?«
    »Weiß er

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